Straße in La Matanza, Vorstadt von Buenos Aires

EITAN ABRAMOVICH / AFP

Du holde Kunst

Lyrische Städteporträts: Jorge Luis Borges führt durch Buenos Aires

Eine kleine Sommerserie der Sendereihe „Du holde Kunst“ führt in drei Städte. Die erste: Buenos Aires. Der Porträtist: Jorge Luis Borges. Mit dem städtischen Raum verhält es sich bei seiner Poetisierung nicht anders als mit anderen Räumen auch, das Örtliche ist nur ein Ausgangspunkt, von dem es in die Tiefe oder Weite des Gedanklichen geht.

Der große argentinische Fantast und Gelehrte Jorge Luis Borges (1899-1986) begann – wie so viele - als Lyriker. Die Gedichte seines 1923 publizierten Bandes „Fervor de Buenos Aires“ verwickeln den Leser noch nicht in das für Borges spätere Prosa so typische Spiel mit Surrealität und Zitat, sondern sprechen mit Glut von einer Stadt, deren Vertrautheit erst wieder hergestellt werden muss.

Jorge Luis Borges

Jorge Luis Borges in Paris 1983

Lieblich ist es, zu leben in der dunklen Freundschaft eines Bogengangs, einer Weinlaube und einer Zisterne. (aus dem Gedicht „Ein Patio“)

AFP PHOTO JOEL ROBINE JOEL ROBINE / AFP

Der Grund: Der Vater von Jorge Luis zog mit der Familie 1914 von Buenos Aires nach Genf, um sich einer Reihe von Augenoperationen zu unterziehen. Jorge Luis studierte Deutsch, Latein und Französisch und kehrte erst sieben Jahre später nach Argentinien zurück. Er selbst begann 1950 zu erblinden, 1955 raubte ihm die Erbkrankheit vollständig die Sehkraft. Die Gedichte der frühen 1920er-Jahre zeichnen Suchbewegungen zwischen Wiederannäherung und Erinnerung nach, deren Ziel eine Rückgewinnung inneren Terrains ist.

Diese Stadt, die ich für meine Vergangenheit hielt,
ist meine Zukunft, meine Gegenwart…

(aus dem Gedicht „Vorstadt“)

Der wirkungsmächtige Wegbereiter für Magischen Realismus und Postmoderne lehnte literarischen Regionalismus stets ab. Die Straßen von Buenos Aires sind ihm vielmehr Seelenlandschaft. Obwohl Borges´ frühe Gedichte wohl der Gedankenlyrik zuzurechnen sind, gehen sie oft vom Visuellen aus. Die Stadt Buenos Aires oszilliert zwischen Schauplatz und Sinnbild. 1969 überarbeitete Borges sein lyrisches Frühwerk, in dieser Überarbeitung liegt es als „Fervor de Buenos Aires“ vor. Im Vorwort schreibt Borges:

„In jener Zeit suchte ich die Abenddämmerung, die Vororte und das Unglück; heute die Morgen, die Mitte und die Gelassenheit.“

Zehn Gedichte aus „Buenos Aires mit Inbrunst“ hat Burgschauspieler Philipp Hauß für „Du holde Kunst“ eingesprochen. Stefanie Maderthaner hat dazu Kammermusik ausgewählt, sie stammt von Alberto Iglesias, Astor Piazzolla, Manuel Maria Ponce, Angel Villoldo, Sergej Rachmaninoff, César Franck, Charles Chaplin, Antonio Soler und Igor Strawinsky.

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