Colson Whitehead

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Prämierter Roman

Colson Whiteheads "Underground Railroad"

Mit seinem jüngsten Roman gelang dem 1969 geborenen Schriftsteller Colson Whitehead der literarische Durchbruch: Die Geschichte einer Sklavin, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Flucht aus einer Baumwollplantage gelingt, gewann den National Book Award und den Pulitzer-Preis und ist außerdem im Rennen um den renommierten Man Booker Prize. "Underground Railroad" stand im Vorjahr monatelang auf der Bestenliste der "New York Times", nun ist er in deutscher Übersetzung erschienen.

Mittagsjournal, 24.8.2017

Judith Hoffmann

"Je südlicher, desto brutaler"

Die Großmutter war einst als Sklavin auf der Baumwollplantage gelandet. Der Mutter gelang es als einziger, unbehelligt von dort zu fliehen. Sie selbst, Cora, blieb damals als Zehnjährige allein zurück im Sklavendorf, bis sie eines Tages von Caesar zur gemeinsamen Flucht animiert wird, vor den unerträglichen Zuständen täglicher Folter und Demütigung, willkürlicher Auspeitschungen und Vergewaltigungen.

Colson Whitehead: "Je südlicher, desto brutaler das Sklavensystem. Und für Frauen ist es ein noch viel größerer Horror als für Männer. Sie sind angehalten, möglichst viele Kinder, also Arbeitskräfte, hervorzubringen; ihr Körper gehört nicht ihnen, sondern dem Sklavenhalter oder anderen Sklaven. Es gibt kein Gesetz auf der Plantage, nur die Launen des Besitzers."

"Schreib die Geschichte, vor der Du Angst hast"

Die Idee zum Roman sei ihm schon vor 16 Jahren gekommen, so der Autor, er habe sich der Geschichte damals allerdings nicht gewachsen gefühlt und erst Jahre später einen Rat beherzigt, den er seinen Studenten regelmäßig gibt: "Wenn eine Geschichte beängstigend oder zu herausfordernd klingt, dann ist es vielleicht genau die, die du schreiben sollst. Schreib niemals eine, von der du weißt, dass du sie schaffst, sondern die, vor der du dich vor Angst in die Hose machst.

Buchcover, "Underground Railroad"

HANSER VERLAG

Historische Tatsachen und Fiktion

Der anhaltende Erfolg seines Romans ist wohl die beste Bestätigung für seine These. "Underground Railroad", das war der Codename für ein komplexes, weitverzweigtes Fluchtnetzwerk, das Sklaven aus dem Süden in die Freiheit des Nordens brachte. Whitehead nimmt die Metapher wörtlich und macht die "Underground Railroad" zu einer tatsächlich unterirdisch verlaufenden Eisenbahn, mit Stationsvorstehern und Schaffnern, die den Flüchtenden jeweils Geleit auf der nächsten Etappe geben. So vermischt sich auf gefinkelte Weise historische Realität mit Fiktion.

"Mit der Entscheidung, die Eisenbahn wörtlich zu nehmen, habe ich die historische Wahrheit ja schon hinter mir gelassen. Meine Philosophie lautete: Ich halte mich nicht an Fakten, sondern an die Wahrheit", so der Autor.

Knappe Sprache, starke Bilder

Die knappe, rhythmische Sprache des Romans stellt sich mit ihren starken Bildern dem Erzählfluss immer wieder wie eine Staumauer in den Weg, um ihn dann wieder mit einem Ruck als reißende Strömung weiterlaufen zu lassen. Die einzelnen Stationen der Flucht von Georgia bis Indiana entpuppen sich lediglich als kurze Verschnaufpausen. Whitehead kreiert sie zudem als fiktive Gefahrenzonen unterschiedlichen Ausmaßes - durchaus mit aktuellen und historischen Querverweisen.

Faszinierend & schwer verdaulich

Colson Whitehead: "In North Carolina zum Beispiel ersinnt die Regierung in meiner Geschichte eine Endlösung für das Problem der Schwarzen, was heißt, dass man sie beseitigt. Wer auf der Straße erwischt wird, kann getötet oder gelyncht werden, und wer einen Schwarzen Unterschlupf gewährt, wird ebenfalls bestraft. Wer weiß, was wir in so einer Situation tun würden."

Die Vermischung fiktiver Dystopien und historischer Tatsachen macht "Underground Railroad" gleichermaßen faszinierend wie schwer verdaulich. Die plastisch geschilderten, vielschichtigen Charaktere und die mitreißende Erzählung schließlich machen ihn zu einem großen Leseerlebnis.

Service

Colson Whitehead, "Underground Railroad", Roman, aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, Hanser

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