Apichatpong Weerasethakul

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Film

Apichatpong Weerasethakul - "Träume sehen sehr normal aus"

Lange Zeit war Thailand ein weißer Fleck auf der Kinolandkarte. Das änderte sich schlagartig als Apichatpong Weerasethakul die Szene betrat. Seine Filme, in denen er die Politik und die Mythen seiner Heimat auf bisher unbekannte Weise ineinanderfließen ließ, liefen in Cannes im Wettbewerb. 2010 gewann er mit "Onkel Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben" dort sogar die Goldenen Palme.

Zuletzt hat sich Weerasethakul auch immer mehr als bildender Künstler einen Namen gemacht. Seine Videoinstallationen und Fotos hat er in New York, München und in der Londoner Tate Modern gezeigt. Derzeit ist Apichatpong Weerasethakul zu Gast in Wien. Anlässlich des großen Abschiedsfests für Direktor Alexander Horwath zeigt er im Filmmuseum fünf seiner Filme und hält heute Abend dort eine Masterclass ab. Wolfgang Popp hat ihn zum Interview getroffen und mit ihm über Affenkostüme, die derzeitige Situation in Thailand und sein neues Filmprojekt in Kolumbien gesprochen.

In Ihren Filmen fließen häufig Traum und Realität ineinander. Wenn andere Filmemacher zwischen den verschiedenen Wirklichkeitsebenen wechseln, lassen sie das Bild verschwimmen oder sie verändern die Farbgebung. Sie gehen die Sache einfacher an. Woher kommt das?

Bei mir ist das wahrscheinlich von den alten thailändischen Fernsehfilmen beeinflusst, die ich als Kind und Jugendlicher gesehen habe. Die hatten weder das Geld noch die Möglichkeit, irgendwelche Spezialeffekte einzusetzen. Stattdessen haben sie einfache Änderungen am Set vorgenommen oder auf Kostüme zurückgegriffen, um fantastische Dinge passieren oder Geister erscheinen zu lassen. So wie ich einen meiner Darsteller einfach in ein Affenfell gesteckt habe. Ich glaube aber auch, dass Träume relativ einfach sind. Sie folgen zwar einer sehr seltsamen Logik, letztendlich sieht im Traum aber alles genauso aus wie im wirklichen Leben. Und nicht wie in einem teuren Film, wo Körper schmelzen oder sich verwandeln. So was passiert in Träumen nicht, denn eigentlich sehen Träume sehr normal aus.

Sie lieben diese Filme aber – diese großen Hollywood-Blockbuster mit ihren aufwendigen Spezialeffekten. Es interessiert Sie also schon, welche Möglichkeiten es da gibt. Zurückgreifen wollen Sie darauf aber nicht?

Das hat natürlich auch finanzielle Gründe. Ich kenne es als Filmemacher nicht anders, als im Low-Budget-Modus zu arbeiten. Also alles einfach zu denken und einfach zu halten.

Neben Ihren Spielfilmen entstehen auch zahlreiche Kurzfilme. Welche Beziehung besteht zwischen den Formaten. Sind die Kurzfilme so etwas wie vorbereitende Skizzen für die Kinofilme?

Ja, es sind Skizzen, gleichzeitig aber auch eigenständige Werke. Die Kurzfilme sind meist auch persönlicher als meine Langfilme, weil es da nur mich und meine Kamera gibt. Es sind sehr spontane Reaktionen auf Dinge, die mir begegnen und auffallen. Außerdem erlauben es mir die Kurzfilme, mit verschiedenen Kameras zu experimentieren. Das Bildermachen und die dazugehörige Technologie schreiten ja permanent und gleichzeitig voran.

Auf welche Entdeckungen sind Sie da zuletzt gestoßen?

Ich habe gemerkt, dass es mich in letzter Zeit verstärkt zu Kameras mit geringer Auflösung und zu Überwachungskameras hinzieht. Hochauflösende Bilder sind mittlerweile so allgegenwärtig, dass man gar kein Gespür mehr für die Materialität eines Bildes hat, während die älteren Kameras noch Bilder liefern, die zerbrechlich sind, was mir sehr gut gefällt. Ich will aber beide Formate nebeneinander einsetzen, um den Zuschauern den Unterschied bewusst zu machen. Die neuen 4k-Kameras liefern ja Bilder, die mit unserem Sehen eigentlich nichts zu tun haben. Unsere Augen stellen ja immer nur auf einen Bereich scharf, auf 4k Bildern ist aber alles scharf, was sie sehr flach macht. Wie gesagt: Ich habe nichts gegen diese neuen Technologien, ich frage mich nur, ob sich unsere Art die Welt zu betrachten, durch sie nicht verändern wird.

Sie haben im Frühling zwei Monate in Kolumbien verbracht, um für Ihren neuen Film zu recherchieren. Warum hat es Sie gerade nach Kolumbien verschlagen?

Da geht es um ein altes Interesse von mir, das noch aus meiner Kindheit stammt. Damals habe ich thailändische Abenteuerromane verschlungen, die alle im Dschungel gespielt haben. Später habe ich aber erfahren, dass die Autoren alle von westlichen Schriftstellern der Kolonialzeit und ihren romantischen Vorstellungen über den Amazonas-Dschungel beeinflusst waren. Nach Südamerika zu gehen, ist für mich deshalb so als würde ich zu meinen ursprünglichen Quellen vorstoßen.

Sie werden damit zum ersten Mal einen Film außerhalb von Thailand realisieren. Stellt das für Sie auch eine Möglichkeit dar, einen Blick von außen auf ihre Heimat und die dortige politische Situation zu werfen. Seit 2014 ist in Thailand ja eine Militärjunta an der Macht.

Die Situation im Land ist derzeit sehr schwierig, aber in Südamerika und Kolumbien haben Militärdiktaturen auch eine lange und traurige Geschichte. Und da bin ich sehr neugierig, wie dort die Medien, die Filmemacher und die Künstler damit umgehen.

Wie ist die Situation denn derzeit für einen Filmemacher in Thailand? Wie streng ist die Zensur gerade?

Thailand war schon immer ein sehr konservatives Land mit einem starken kollektiven Gehorsam. Die Menschen sind einfach darauf gepolt, gewisse Dinge nicht anzusprechen und gewisse Tabus nicht anzurühren. Vor der Machtübernahme durch das Militär hat sich aber, wahrscheinlich ausgelöst durch das Internet, eine Öffnung angekündigt. Damals haben die Menschen begonnen, Dinge anzusprechen, über die vorher nicht geredet wurde. Die Militärjunta hat dieser frischen Entwicklung aber allen Wind aus den Segeln genommen.

In einem Interview haben Sie gesagt, das Land würde vom Aberglauben regiert. Haben Sie damit die generelle Mentalität im Land gemeint oder war das ein ganz konkretes politisches Statement von Ihnen?

Beides. Das gilt sowohl wortwörtlich als auch im übertragenen Sinn. Im übertragenen Sinn, weil die Verbindung zum Unsichtbaren sehr tief in der thailändischen Gesellschaft verwurzelt ist. Da ist ein Sessel oder ein Baum nie nur ein Sessel oder ein Baum, sondern immer auch etwas anderes. Aber auch das politische Denken funktioniert nach diesen Maßstäben, denn Wahrsager und Mönche spielen hinter den Kulissen eine sehr einflussreiche Rolle.

Heißt das, das Militär greift auf Wahrsager zurück?

Natürlich! Aber das darf ich in offiziellen Interviews in Thailand nicht laut sagen. Da würde ich sofort Probleme bekommen. Obwohl das natürlich jeder weiß. Den berühmten Wahrsagern wird in den großen Tageszeitungen regelmäßig viel Platz eingeräumt. Und da schreiben sie dann über die politische Situation und treffen ihre Voraussagen. Zum Beispiel, wer bald aufsteigen und wer in Zukunft keine Rolle mehr spielen wird. Und obwohl die Wahrsager in der Vergangenheit oft falsch gelegen sind, glauben die Menschen ihnen auch weiterhin unbeirrt.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp