Strannye ljudi (Seltsame Menschen) 1969, Vasilij Šukšin

ÖSTERREICHISCHES FILMMUSEUM

Retrospektive im Filmmuseum

Utopie und Korrektur

Heute Abend startet im Österreichischen Filmmuseum in Wien die mit der Viennale gemeinsam gestaltete Retrospektive "Utopie und Korrektur". Anlass für diese Schau ist das 100-Jahr-Jubiläum der russischen Revolution 1917. Es ist die erste Schau, die der neue Filmmuseum Direktor Michael Loebenstein verantwortet, und er hat sich dafür einen der prominentesten Filmhistoriker des sowjetischen Kinos zur Seite geholt: den 1937 geborenen Naum Kleiman.

Kulturjournal | 13 10 2017

Benno Feichter

"Jede Revolution beginnt mit einer Utopie"

Naum Kleiman breitet seine Arme aus, wenn er erklärt, dass er den Titel Utopie und Korrektur nicht nur als Überschrift für diese Schau, sondern auch als Überschrift für die letzten 100 Jahre russischer Geschichte begreift. Eine Geschichte der Korrektur von Versprechungen, so Kleiman: "Das Leben ist komplizierter als alle Utopien, die durch gesellschaftliche und politische Entwicklungen korrigiert werden. Die Revolution frisst ihre Kinder und ihre eigenen Ideen, wenn Interessen des Machterhalts diese untergraben." Und hier kommt die Kunst ins Spiel, deren Aufgabe es sei, das freizulegen, was die Ideologen verschweigen würden: "Kunst - ehrliche Kunst - hat immer versucht den Unterschied zwischen Realität und Utopie aufzuzeigen."

15 Filmpaare

Kleiman hat zuerst das Sergej-Eisenstein-Archiv in Moskau geleitet und ab den 80er Jahren das Moskauer Filmmuseum mit aufgebaut. Als dessen Leiter wurde er 2014 in einer von Protesten begleiteten, politischen Umbesetzung entlassen. 2015 ist der Filmhistoriker im Rahmen der Berlinale für seine Verdienste um das Kino mit der Berlinale Kamera ausgezeichnet worden. Kleiman hat die Schau "Utopie und Korrektur" für Viennale und Filmmuseum in 15 Filmpaaren organisiert. Kino aus den Jahren 1926 bis 1940, das in Bezug gesetzt wird zu Filmen aus den Jahren 1956 bis 1977. Wie sich Utopie und deren Korrektur in den 20er und 30er Jahren manifestierten, stellt Kleiman in der Schau in Bezug zur Zeitspanne 1956 bis 1977.

So sind etwa der Aufschrei der Landbevölkerung und ihre Hoffnungen in Eisensteins "Die Generallinie" aus den Jahren 1926 bis '29 schon längst wieder verstummt, wenn 20 Jahre später Michail Svejcer in "Fester Knoten" dieselben Versprechungen wieder auf die Leinwand holt.

Bespielung künstlerischer Freiräume

In seinem Film "Ein Sechstel der Erde" zeichnete Dziga Vertov 1926 ein großes Porträt des Landes und seiner Menschen, ein Auftragswerk der Regierung, das die UdSSR als Exportland bewerben und seine Produkte in Szene setzen sollte. Vertov setzte den Auftrag um, aber er machte vor allem auch einen Film in dem sich jeder Zuschauer wiederfinden sollte, einen Film über die Menschen und ihren Alltag. Die Identifikation im Kollektiv zwischen Propaganda, Zensur und den kleinen künstlerischen Freiräumen, die er unter dem Primat der Montage bespielte. Naom Kleiman: "Es gibt immer einen Auftrag der Gesellschaft und einen Auftrag der Regierung an die Künstler. Und das haben diese Filmemacher beherzigt."

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Den Blick auf das sowjetische Kino weiten

Die Utopie und deren Korrekturen, die Versprechen und deren Nichteinhaltungen vor dem Spiegel der Geschichte erneut reflektiert. 15 solche Filmpaare werden im Rahmen der Schau präsentiert - Klassiker wie "Oktober", "Ivan der Schreckliche" oder "Der Mann mit der Kamera" finden sich nicht darunter. "Die zeigen jetzt zur Revolution eh alle", lacht Kleiman: "Wir wollten den Blick auf das lenken, was sonst noch im Schatten verborgen ist."

Die Retrospektive "Utopie und Korrektur" startet heute und geht bis zum 30. November. Naom Kleiman und sein Kollege Artiom Sopin sind bis Sonntag in Wien zu Gast und geben Einführungen zu den Filmen.

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Filmmuseum - Utopie und Korrektur

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