Laudatio von Fritz Schindlecker
Anlässlich der Verleihung des Österreichischen Kabarettpreises 2017 an Lukas Resetarits
21. November 2017, 09:45
Sehr geehrte Damen und Herren!
Als Lukas Resetarits ein Knabe war und noch Erich gerufen wurde, war er als Ministrant bei einem Kaplan namens Adolf Holl tätig. Ich denke, es ist im Sinne beider, wenn ich diese Lobrede mit einem Bibelzitat beginne:
"Zuviel Honig essen ist nicht gut; ebenso spare mit ehrenden Worten!" So heißt es im Alten Testament, im Buch der Sprichwörter. Übertriebenes Lob kann Menschen in Verlegenheit bringen. Um dies meinem Freund Lukas zu ersparen, werde ich mich im Folgenden ausschließlich seinen negativen Seiten widmen.
Negativum Nummer 1: Der heute hier zu Ehrende zeichnet sich durch enormen Bildungshunger aus. Leider hat er dadurch im Lauf seines Lebens eine erschreckende Wissensmenge auf den verschiedensten Gebieten angehäuft. Man kann sich sicher sein: Lukas Resetarits weiß, wo der Blaufußtölpel nistet, warum man einen Gutteil der Politik Josef II. durchaus als utilitaristisch bezeichnen kann, und es ist dem diesjährigen Kabarettpreisträger und Hobbymediziner auch sofort klar, woran Patienten leiden, bei denen man Haemolacria diagnostiziert hat. Sie weinen Blut - und das nicht nur dann, wenn sie ein Interview mit Harald Vilimsky im Fernsehen anschauen müssen.
Aufgrund dieses seines unheimlichen Wissens bezeichnen böse Zungen Lukas Resetarits als Intellektuellen. Das ist traurig. Denn ein Intellektueller zu sein ist hierzulande bekanntlich kein Riesenrenommee. Ein Volk, das relativ mehrheitlich unter schrillem Jubel einen Studienabbrecher zum Kanzler kürt, dem sind Vieles-wissen-Wollende und somit Vieles-in-Frage-Stellende naturgemäß suspekt - selbst, wenn diese auch Studienabbrecher sind. Dass Resetarits sich trotzdem breiter Beliebtheit erfreut, mag aufs Erste positiv überraschen.
Es ist aber nur dem nächsten seiner Persönlichkeitsmakel geschuldet. Denn sein zweites Negativum liegt in seiner übergroßen Bescheidenheit. Diese veranlasst ihn, seine Bildung nicht demonstrativ äußerln zu führen. Was man aber tun sollte, wenn man sie sich schon unvorsichtiger Weise angeeignet hat. Dann ist man zwar nicht rasend beliebt, aber man darf sich immerhin stolz zur "Elite" zählen. Das äußerln Führen von feiner Bildung erfolgt hierzulande allenthalben definitiv durch Verwendung von eigenartigen Adverbien wie "allenthalben" und "definitiv", und dass man nicht "fragt" sagt, sondern "frägt".
Doch der hier zu Feiernde befleißigt sich im Regelfall eines allgemein verständlichen umgangssprachlichen Idioms, das er im Kontext eines Bühnenvortrages auch mit exotischen Akzenten anreichert; wie etwa dem Serbokroatischem - "ich eßta olles! Die Schweinfleisch, die Burenheitel!" - dem Türkischen - "Du net döppert reden auf Türkischmann! " - oder gar dem Kärntnerischen - "Valosn, valosn, valosn san mir! Von olle guadn Geista!"
Nun könnte man diese Negativeigenschaft der Bescheidenheit mit ein bisschen Geschick auch durchaus positiv erscheinen lassen. So etwas geht recht einfach. Vor etwa einem Jahr hörte ich auf Ö1 folgenden Satz: "Der medienscheue Literat gewährte unserer Redakteurin ein zweistündiges Interview."
Vollkommen richtig! Wenn man schon medienscheu ist, dann muss man das den Medien ausführlich mitteilen. Sonst erfährt’s ja keiner, und das ganze Medienscheusein ist für die Katz. Wenn man eh schon bescheiden ist, dann muss man großkotzig darauf verweisen! Sonst rechnet sich das ganze bescheiden Sein niemals.
Doch das dritte, alles überstrahlende Negativum des Lukas Resetarits liegt in seiner mangelnden Fähigkeit, sich selbst zu inszenieren. Dabei ist gerade die Selbstinszenierung für in der Öffentlichkeit stehende und kreativ tätige Menschen von umfänglicher Bedeutung. Denken Sie nur an den Hut von Joseph Beuys! Lassen Sie die Silberhaarperücke von Andy Warhol vor Ihrem geistigen Auge wiederauferstehen! Imaginieren Sie sich über alle etwaigen ideologischen Grenzen hinweg das Weißer-G’Spritzter-Glas in der feingliedrigen Hand des Michael Häupl! Derartige persönlichkeitskonstituierende Accessoires mit enormem Wiedererkennungsmehrwert werden Sie an und bei Lukas Resetarits vergeblich suchen.
Aber auch seine verbale Selbstinszenierung ist so gut wie gar nicht vorhanden. Während sich Politiker mit vorgestriger Ideenbindung gerne als "Vordenker" plakatieren lassen, nennen sich viele Kabarettisten, Schlagersänger, Köche und ihre jeweiligen weiblichen Pendants oftmals "Künstlerinnen" und "Künstler". Lukas Resetarits dagegen bezeichnet sich wie der von ihm sehr geschätzte Anton Kuh viel lieber als "Sprechsteller". Gerne unterfüttert er diese Nicht-Künstler-Selbsteinschätzung mit dem Zitieren des Nestroyschen Kunstbegriffs, der ja bekanntlich lautet: "Kunst ist, wenn man etwas nicht kann. Denn wenn man es kann, dann ist es keine Kunst mehr."
Das führt mich zum Schluss meiner Ausführungen: Der Lukas kann es. Für ihn sind schon seit vierzig Jahren das satirische Erzählen und die doppelbödige Darstellung gefährlich lustiger Charaktere keine Kunst mehr. Dabei hat der ehemalige Hobbypilot immer ein altes Gesetz der Fliegerei befolgt: Man gewinnt an Höhe, wenn man nicht mit dem Wind, sondern gegen den Wind fliegt.
Lieber Lukas: Du wurdest in Deiner Karriere schon mit vielen Preisen ausgezeichnet - mit der Romy, dem Salzburger Stier, dem Österreichischen Kleinkunstpreis und dem Deutschen Kleinkunstpreis, um nur die Wichtigsten zu nennen, die mir gerade einfallen.
Dass in diesem Jahr auch der Österreichische Kabarettpreis an einen bescheidenen, sich nicht selbst inszenierenden Intellektuellen geht, dazu gratuliere ich Dir. Und uns gratuliere ich auch - dazu, dass wir Dich haben.