Ausstellung in Großbritannien mit Werken von Damien Hirst, Besucher machen ein Handyfoto

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Radiokolleg

Positionen in der Kunst: Damien Hirst

Damien Hirst hat einige der populärsten Artefakte der Gegenwartskunst geschaffen: Den Hai in Formaldehyd oder den mit Diamanten überzogenen Totenschädel. Kitsch, Kommerz, Spektakelkunst für Oligarchen? - Eine Rehabilitation Hirsts und seiner Ikonen.

Damien Hirst habe sich gnadenlos selbst kommerzialisiert und sich damit in die Bedeutungslosigkeit katapultiert. So der Tenor der Kritik an ihm. Doch: Die Ikonen, die Hirst in die Welt gesetzt hat, kann man prügeln. Aber man kann sie nicht löschen.

Damien Hirst

Damien Hirst

AFP/CARL COURT

Beliebte Sportart: Hirst-Bashing

"Ausgeburt pompösen Kitsches". "Wenig Kopf, viel Schwindel". "Es grenzt schon an ein Wunder, was so viel Geld und so wenig Talent gemeinsam hervorbringen können": Bei jedem gröberen Hirst-Event regnet es Watschen im Feuilleton.

2008 ließ der damals Dreiundvierzigjährige in einer Sotheby’s-Auktion 223 neue Werke versteigern, die von rund 200 MitarbeiterInnen seiner Werkstätten gefertigt worden waren. Gesamterlös: Sensationelle 140 Mio. €.

Um 13 Mio. kam "Das goldene Kalb" unter den Hammer: Ein Stier mit Hufen aus purem Gold und einer ebenfalls goldenen Sonnenscheibe zwischen den Hörnern.

Hirst lieferte die Werke direkt aus dem Atelier bei Sotheby’s ein, und bootete damit seine Galeristen aus. Mehr noch als durch diese spektakuläre Verletzung der Spielregeln hat sich Hirst durch ein einzelnes Werk zum Watschenmann des Kunstbetriebs gemacht: "For the Love of God". Das ist der mit Diamanten bestückte Totenschädel aus Platin, den er 2007 lancierte und im Jahr darauf um 75 Millionen verkaufte. An ein Bieterkonsortium, dem er selbst angehörte.

Kurator Georg Schöllhammer argumentiert pro Hirst

Seit der Diamantenschädel in der Welt ist, muss man als Kurator, Kritiker oder Künstler fast schon um seine Auftragslage fürchten, wenn man sich öffentlich als Damien-Hirst-Versteher oder -Versteherin outet. Vielen gilt er als Inbegriff des gerissenen Spekulanten, der sich mit billigen visuellen Überwältigungsstrategien in den Hochadel der zeitgenössischen Kunst eingeschlichen habe.

Dem hält Georg Schöllhammer – Chefredakteur der Kunstzeitschrift "springerin" und als Kurator unter anderem an einer "documenta" beteiligt – entgegen: "Er ist der Großkünstler, der wie die großen Popbands seiner Umgebung agiert hat, wie die Pet Shop Boys zum Beispiel. Es ist nicht verboten, in der populären Musik, im Musikgeschäft, viel Geld zu machen. Man kann trotzdem noch eine Ikone bleiben auch für die Alternativsten. Aber es ist offenbar verboten gewesen für einen Künstler."

Damien Hirst

Damien Hirst

AFP/BEN STANSALL

Der Hai und seine Bedeutungsebenen

Schon 1991 wurde Hirsts mehr als vier Meter langer Hai in Formaldehyd produziert, im Auftrag des Sammlers Charles Saatchi.

"Das wirklich Neue an Hai oder den aufgeschnittenen Kühen und dem Lamm in Formaldehyd war, dass sie bewusst zynisch, hart und kalt gesetzt waren. Da war kein Schein des Humanismus mehr zu spüren. In diese Zeit fallen ja auch die ersten Gentechnologiedebatten. Und er zeigt diese Tiere wie ein schon historisch gewordenes Lebendiges. Als Memento dafür, dass das Organische vom Immateriellen abgelöst werden könnte. Jetzt stehen wir ja mitten in dieser Debatte."

Auch Hans Ulrich Obrist übrigens, einer der weltweit angesehensten Kuratoren der Gegenwart, hat von Hirsts Werken eine hohe Meinung. Von Fotos glaubt man die Hirst’schen " signature pieces"zu kennen und hält sie für leicht lesbar. Aha, eindimensional, reine Spektakelkunst. Der Hai erschließt sich aber nur dann wirklich, wenn man ihm ins Gesicht sieht und um ihn herumgeht.

Schon 2002 kommentierte die damalige Kunstkritikerin des Stadtmagazins "Time Out", Sarah Kent, das Hai-Readymade im Ö1-Gespräch folgendermaßen: "Man steht davor, und das Tier sieht lebendig aus. Eine machtvolle Begegnung. Man wird sich schlagartig darüber klar, dass man aus Fleisch besteht und eine Beute für diese Kreatur sein könnte. Man reagiert also ganz spontan auf die Arbeit. Aber wenn man dann weggeht, wirkt der Eindruck weiter und erzeugt eine Resonanz. Man denkt über den Sinn des Lebens nach, den Unterschied zwischen Tier und Mensch, die Rolle des Körpers und so weiter. Das heißt, mit diesem Werk kann man sich auf so vielen Ebenen beschäftigen, dass es über Jahre hinaus interessant bleibt."

"Bei einem großen Kunstwerk kann 1 + 1 mathematisch 3 ergeben", nuschelte Hirst selbst einmal bei einer Pressekonferenz ins Mikro. "Man ist immer auf der Suche nach einer Art Magie."

Zugpferd der Young British Artists

Drei Jahre vor dem Hai, 1988, veranstaltete Hirst gemeinsam mit StudienkollegInnen vom Goldsmith College in einem leerstehenden Gebäude in den Docklands die mythenumwobene Gruppenschau "Freeze", also "Frost". Sie gilt als Geburtsstunde der losen Gruppierung namens "Young British Artists".

Matt Collishaws riesenhaft aufgeblasene Fotografie eines blutigen Einschussloches am Haarboden; Tracey Emins Installation mit zerwühltem, beflecktem Bett; oder eben Damien Hirsts Präparate: Damit schrieben sich die YBAs, die Young British Artists, ins visuelle Gedächtnis der 90er Jahre ein. Zeitgenössische Kunst bekam plötzlich eine bis dahin undenkbare Resonanz in den Medien und bei einem Massenpublikum. Und Damien Hirst war das Zugpferd dieser Entwicklung.

Die pastellfarbenen Punktebilder, die Hirst ganz bewusst als Endlos-Serie aus der Retorte von Mitarbeitern malen lässt: Mag sein, dass er sich in solchen Werkgruppen selbst inflationiert.

"Two Garudas" von Damien Hirst

"Two Garudas" von Damien Hirst

AFP/MIGUEL MEDINA

Ausstellung in Venedig: Hirst erfindet sich neu

Doch mit der Ausstellung "Treasures from the Wreck of the Unbelievable" 2017, im Palazzo Grassi und der Punta delle Dogana in Venedig, hat er eine neue Seite aufgeschlagen. Und damit wie üblich teils Wut, teils Begeisterung erregt.

"Sie ist abwechselnd wunderbar und schön, gewaltig, komisch und monströs."

"Urlaub fürs Gehirn. Damien Hirsts Protzausstellung in Venedig ist nicht mehr als ein schlechter Witz".

Die Fondazione Pinault hat dieses mega-teure Großprojekt finanziell ermöglicht hat, gemeinsam mit dem Künstler. "Treasures from the Wreck of the Unbelievable" besteht aus angeblich antiken Kunstwerken und Sammelobjekten.

Ein im ersten Jahrhundert n.Chr. freigelassener Sklave aus dem römischen Imperiums, Cif Amotan II., habe es schnell zu immensem Reichtum gebracht und erlesene Kunst zusammengerafft; aber auch Fälschungen und Kopien aus allen Teilen der antiken Welt. Skulpturen, Schmuck und Kunsthandwerk, Münzen und Naturalienkabinette. Die habe er mit dem Schiff "Unbelievable" nach Indien transportieren wollen, um sie dort in einem dem Sonnengott geweihten Tempel zu präsentieren. Doch das völlig überladene Schiff sei gesunken. Nach 2.000 Jahren auf den Meeresgrund habe man den durch Legenden überlieferten Schatz gefunden und gehoben: So die auch mittels einer Filmdoku aufbereiteten Fake News.

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Pastiche aus Populärkultur und Kulturerbe voller Witz und Drama

Die mit Korallen überzogenen Monumentalskulpturen im ersten Raum der Punta della Dogana: Sie wirken wie etwas plumpe Figuren eines Computergames, das in fernen historischen Epochen spielt. Doch der aufgeblasene Trash wird sich als Nebelbombe erweisen. Bzw. als Teil der Staffage, der Kulisse, für die zentralen Artefakte. Da wäre etwa die kleine Skulptur eines liegenden Äffchens aus Gold und Silber, gekerbt und gefurcht. The Sadness heißt sie. Und wie die Leib gewordene Traurigkeit sieht sie auch aus.

Die Hindu-Göttin Kali kämpft mit acht Schwertarmen gegen das Seeungeheuer Hydra aus dem griechischen Mythos.

Eine vorgebliche Maya-Statuette aus echtem Gold ist der Kampfroboter-Spielzeugfigur "Transformer" nachgebildet. Schönheiten aus rosa Marmor wirken seltsam heutig – weil ihre Gesichter die von Kate Moss oder Rihanna sind.

Die Schau reflektiert das Geschlechterverhältnis; die Konsumkultur; Naturverhältnis, Transhumanismus, die Rolle von Kunst und Religion und überhaupt eh-fast-alles.
Dieses wilde Pastiche aus Populärkultur und Kulturerbe, voller Witz und Drama, ist jedenfalls in dieser Form neu. Dem bürgerlich-intellektuellen Distinktionsbedürfnis mag diese Ästhetik als "prolo" erscheinen. Aus Georg Schöllhammers Sicht vollziehe Hirst ikonografisch eine Wende; vergleichbar der vom Frühbarock zum Hochbarock.

Parallele zum Hochbarock

"Die Rhetorik des Geldes ist die Rhetorik der Macht, und das ist die Rhetorik der Gegenreformation, des Hochbarocks. Die ganz starke Rhetorik des dreißigjährigen Krieges: alles ist dem Tod hingegeben – das ist diese Wende zum Hochbarock! Hirst macht ähnliches in einer Zeit, wo’s eine Wende gibt vom Ausgleichskonsens der europäischen fordistischen Nachkriegsgesellschaften hin zum zynisch losgelassenen, hart kämpfenden Kapitalismus. ‚Kunst ist auch nur eine Münze’, und ich kann das affirmativ benutzen, um aufzuklären. Der Kitsch war bewusst gesetzt. Und er denkt in diesen Bildern großartig".

Die leeren blitzenden Augenhöhlen des diamantenen Schädels – sie scheinen zu sagen: "Ihr könnt noch so viel Besitz anhäufen, sterben werdet ihr trotzdem".