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Praxis
Ex-Guerillera rechnet mit Ortega ab
"Manche Menschen sterben, bevor sie sterben", sagt die ehemalige Guerilla Kämpferin Dora Maria Téllez über Daniel Ortega, den Präsidenten Nicaraguas, mit dem sie einst gemeinsam gekämpft hatte. Er habe die linke Ideologie verraten, häufe Macht und Kapital an und habe mittlerweile auch Teile der katholischen Bischofskonferenz auf seine Seite gezogen.
12. Jänner 2018, 02:00
Die grauen Haare trägt die heute 62-Jährige kurz, das Hemd in die Hose gestrickt, und die Handytasche am Gürtel erinnert fast ein bisschen an die Waffen von damals. Damals, als Dora Maria Tellez unter dem Decknamen "Comandante Dos" während der sandinistischen Revolution von Nicaragua eine der wichtigsten Mitstreiterinnen von Daniel Ortega, dem heutigen Präsidenten des Landes, war.
"Ortega hat alle eingekauft."
Gegenüber der Gruppe von österreichischen Journalistinnen und Journalisten, die sie in Managua zum Interview trifft, geht sie scharf ins Gericht mit dem ehemaligen Kampfgefährten: "Ortega hat alle eingekauft", kritisiert Dora Maria Tellez das Machtkartell des Präsidenten. Die meisten anderen Parteien etwa und die Streitkräfte. Sie berichtet von außergerichtlichen Exekutionen durch das Militär und dass jüngst die zwei Töchter einer Bauernfamilie von Soldaten vergewaltigt und ermordet worden seien.
Auch die römisch-katholischen Bischöfe Nicaraguas hätten verlangt, dass das Militär dazu Stellung nimmt. "Aber das Heer: schweigt. Ortega, der ja der Oberbefehlshaber ist: schweigt. Als ich das heute gelesen habe, habe ich mich gefragt: Was ist der Unterschied zwischen diesem Heer und dem Heer von Somoza? Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Unterschied mehr gibt", resümiert Dora Maria Tellez bitter.
Einst hat sie an vorderster Front für die Ziele der Sandinisten gekämpft. Als junge Medizinstudentin schließt sich Dora Maria Tellez Ende der 1970er Jahre der sandinistischen Revolution an. Gemeinsam mit 23 Frauen und Männern besetzt sie 1978 den Nationalpalast und nimmt etwa 1.000 Mitglieder des Parlaments als Geiseln. Tellez - die damals unter dem Deckmantel "Comandante Dos" berühmt wird - führt die Verhandlungen mit Diktator Somoza und fügt ihm seine erste öffentliche Demütigung zu: Sie erzwingt die Freilassung inhaftierter Kampfgefährten und freies Geleit für die Geiselnehmer.
AP
Tellez flieht daraufhin nach Panama, absolviert eine militärische Ausbildung in Kuba und kehrt als Guerillera im Februar 1979 wieder nach Nicaragua zurück, wo sie eine Leitfigur der Aufständischen wird und mit ihrer klugen militärischen Taktik und ihren Überraschungsangriffen äußerst erfolgreich ist.
Schließlich flieht Somoza im Juli 1979. Nach dem Sturz des Diktators beginnt Daniel Ortegas politischer Aufstieg, 1984 gewinnt er erstmals die Präsidentenwahl. Die darauffolgenden Jahre sind vom Krieg gegen die von den USA unter Präsident Ronald Reagan unterstützten Contras geprägt. Dora Maria Tellez ist zu dieser Zeit Gesundheitsministerin von Nicaragua. Von den Vereinten Nationen wird sie ausgezeichnet für ihre Gesundheitskampagne.
"Menschen, die sterben, bevor sie sterben."
Doch gleichzeitig beginnt auch die Entfremdung vom einstigen Waffengefährten Ortega. In den 1990er Jahren bricht sie völlig mit ihm und gründet eine eigene Partei: eine sandinistische Erneuerungsbewegung.
Über Ortega meint sie aus heutiger Sicht: "Ortega hat mehr Machtstreben als Prinzipien". Sein Regierungsmodel sehe dem Regime von Somoza, gegen das sie einst gemeinsam gekämpft hatten, zum Verwechseln ähnlich: "die Abkommen mit dem Großkapital, die Machtkonzentration in der eigenen Familie, die große Korruption, die Straffreiheit... Wir haben gemeinsam gekämpft, Ortega und ich, wir waren beide an der Nordfront. Aber mir ist klar, dass dieser Mann von damals gestorben ist. Es gibt Menschen, die sterben, bevor sie sterben."
Ortega habe Verrat begangen an den Toten, sagt Comandante Dos: "Wenn er wenigstens nur die Lebenden beleidigt hätte, aber sein Machtmodell auf jenem Grund zu errichten, der getränkt ist vom Blut so vieler Toter, das ist unverzeihlich."
"Auch ein linker Diktator ist ein Diktator."
Doch vor allem unter der Linken Europas habe Ortega nach wie vor noch viel Zuspruch. Aus Gründen der Nostalgie wollten viele der ehemaligen Mitstreiter von damals nicht sehen, was aus Ortega geworden ist.
Doch die ehemalige Guerillera findet scharfe Worte: "Wenn Du Unrecht siehst, musst Du es auch beim Namen nennen. Man kann Diktatoren nicht je nach Ideologie unterschiedlich einteilen. Genauso wenig wie die Diebe. Auch ein linker Diktator ist ein Diktator. Ein Dieb ist ein Dieb, auch wenn er von der Linken ist. Und wenn Du Dich bestechen lässt, bist Du korrupt. Egal wo Du ideologisch stehst."
Einer, der die aktuelle Situation in Nicaragua besser verstehe als viele Linke in Europa, sei hingegen Papst Franziskus, erklärt Tellez: "Weil er als Argentinier eben die lateinamerikanischen Codes kennt. Ich glaube, ein progressiver europäischer Papst wäre wahrscheinlich viel konzilianter mit Ortega."
Die von ihr gegründete "Sandinistische Erneuerungsbewegung" sei aktuell die einzige Oppositionskraft im Land. Darum seien sie und ihre Mitstreiter auch massiven Repressionen ausgesetzt, berichtet Tellez. Trotzdem will die streitbare Ex-Guerillera weiterkämpfen - allerdings nicht mehr mit Waffengewalt.
AFP/MIGUEL ALVAREZ
"Wir sind kriegsmüde. Alle sind wir kriegsmüde. Wir haben alle sehr viel Trauer in uns, enorme Schmerzen. Trauer, die in Stille getragen wird. Und die größte Trauer, die eine Generation haben kann, ist die, dass wir geglaubt haben, wir haben den Himmel erreicht und im Himmel haben wir dann den Teufel vorgefunden."