Weiße Winterlandschaft mit Fußgängern

AFP/CHRISTOF STACHE

Literatur

Die Autorin Jeanette Winterson

In Österreich nur wenig bekannt, ist die britische Schriftstellerin Jeanette Winterson in ihrer Heimat längst eine der wichtigen literarischen und intellektuellen Stimmen. Mit ihrem autobiografischen Debüt "Orangen sind nicht die einzige Frucht" gelang der 1959 geborenen Winterson der Durchbruch. Jetzt ist im Verlag Wunderraum der Erzählband "Wunderweiße Tage - Zwölf winterliche Geschichten" erschienen.

Mittagsjournal | 20 12 2017

Judith Hoffmann

Kulturjournal | Interview

Jeanette Winterson im Gespräch über den Zustand der Welt und das Wesen der Kunst, über kleine Lügen und große Veränderungen.

Turbulente Jugend als literarische Vorlage

Winterson wuchs als Stieftochter von Mitgliedern der streng religiösen Pfingstbewegung auf und war eigentlich zur Missionarin bestimmt. Bücher gab es neben der Bibel nur eine kleine Handvoll, und als sich die 16-Jährige sich in ein Mädchen verliebte, wurde sie kurzerhand aus dem Haus geworfen. "Ja, das war beängstigend, aber die Liebe aufzugeben finde ich noch beängstigender, also fasste ich den Mut und ging“, erzählt die quirlige Britin. Die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend nahm sie mit, außerdem die spirituelle Seite der Religion. "Nur den Hass, die Dogmen und die falsche Art, Geschichten zu erzählen ließ ich zurück."

Bibel als Handbuch für Schriftstellerei

Die "richtige" Art, Sätze zu konzipieren und kraftvolle Geschichten zu lesen, hatte sie aus der täglichen Bibellektüre zu Hause gelernt, und ebenfalls mit im Gepäck. Ihr Debüt "Orangen sind nicht die einzige Frucht", mit dem Winterson in den 80er Jahren der Durchbruch gelang, zeugt ebenso davon wie die darauffolgenden Romane, darunter "Der weite Raum der Zeit" und "Warum glücklich statt einfach nur normal?". Immer wieder kehrt Winterson darin zu ihrer eigenen Geschichte zurück, so auch im jüngsten Erzählband "Wunderweiße Tage". Ihre depressive Stiefmutter scheute Lebensfreude und Sozialkontakte gleichermaßen. Nur einmal im Jahr, zu Weihnachten, kam so etwas wie Frohsinn auf.

Weihnachten wieder schön finden

Vielleicht auch deshalb hege sie selbst so eine Neigung zu diesem Fest, sagt Jeanette Winterson: "Bei aller Kommerzialisierung und dem ganzen Mist ist es doch die Zeit, in der die Menschen entspannter sind, miteinander teilen und sich für Familie und Freunde Zeit nehmen. Das mag ich daran und auf diesen Geist von Weihnachten sollten wir uns besinnen." Und tatsächlich gelingt es ihr in den Kurzgeschichten unterschiedlicher Genres, von der Fabel bis zum urbanen Märchen, diesen von ihr beschworenen Geist von Weihnachten als Fest der Liebe zu vermitteln. Hinter allen Erzählungen dringen die Magie und Muße des Festes durch, ohne dabei aufgepfropft und künstlich zu wirken.

Weihnachtsfrieden und das Ende der Liebe - kein Widerspruch

Das symbolisch aufgeladene Datum wird zum Ausgangspunkt für Geschichten über die sich anbahnende und die zu Ende gehende Liebe. Denn bei einer Scheidungsrate von über 50 Prozent und einer durchschnittlichen Beziehungsdauer von elf Jahren müsse sich die Menschheit langsam fragen, ob "für immer und ewig" wirklich noch das adäquate Rezept eines glücklichen Liebeslebens sei, so die Autorin, die anhand ihrer Figuren gleich vorexerziert, dass das Ende einer Beziehung durchaus mit dem vielbemühten Begriff "Weihnachtsfrieden" in Einklang gebracht werden kann.

Zwischen den Erzählungen beschreibt Winterson je ein Festmahl, verpackt in persönliche Erinnerungen an weihnachtliche Begegnungen. Es sind Rezepte aus dem Bekanntenkreis und dem Familienweihnachtskochbuch, stets verbunden mit einer Aufforderung: was immer man zubereitet, man bereite es mit Bedacht und Muße zu. „Ich sage den Leuten immer: Schafft euch eure eigenen Rituale und Traditionen, so wie ihr sie mögt. Und setzt euren Verstand ein! Denn dann kommt ihr weg vom "Ohjeh, noch mehr Einkaufen und Kochen und dann die ganzen Verwandten, die ich hasse, was soll ich tun?" und findet einen Weg, es anders zu machen“, so Winterson.

"Wunderweiße Tage" ist als Einstieg in den literarischen Kosmos der Jeanette Winterson ebenso geeignet wie als reichhaltiges Last-Minute-Geschenk - für Weihnachtsfanatiker ebenso wie für Weihnachtsskeptiker.

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