Gottfried von Einem

AP/RONALD ZAK

Ö1 Schwerpunkt

Gottfried von Einem - Ein Genosse der Zeit

Ö1 Schwerpunkt zum 100. Geburtstag des Komponisten Gottfried von Einem.

Wenn im zweiten Orchesterzwischenspiel der Kantate "An die Nachgeborenen" op. 42, mitten in einer leise dahinfließenden Musik plötzlich im Forte ein reiner G-Dur-Akkord zu hören ist - ja, was geschieht, was ist denn dann? Es ist ein Augenblick des Staunens, provoziert vom Komponisten, der souverän genug ist, um die vielen Möglichkeiten, welche ihm die Stile seiner Kunst zur Verfügung gestellt haben, anzuwenden, wie es ihm beliebt. Zeitgenossen des Jahres 1973, in dem dieses Werk zum ersten Mal erklang, haben über diese tonale Banalität pflichtschuldigst die Nase gerümpft.

Im Gegenzug haben zwei nicht unprominente Vertreter des österreichischen Kabaretts (Namen der Redaktion bekannt) in einer Szene das Goethe’sche "Heidenröslein" in verschiedenen Musikstilen zum Blühen zu bringen versucht. Höhepunkt: die furchterregende Ansage "Und jetzt von einem …, einem …", und dann wurde einfach wild ins Klavier gedroschen - und irgendwelche Töne konnten die beiden den eigenen Kehlen auch entlocken.

Gottfried von Einem

ORF

Stilistisches Wundertier?

Wie also? Verkörpert dieser Komponist jetzt vielleicht gar das stilistische Wundertier eines "atonaltonalen Tonal-atonalen"? Kann man ein solches streicheln - oder muss man sich da vielleicht gar aus Prinzip selbstbewusster Modernität davor ekeln?

Einem hat sich selbst als "Feuerbär" bezeichnet - etwas Animalisches mag ihm schon innegewohnt haben. Was er sicher nicht war: einer, den man irgendwo ganz einfach zuordnen konnte. Seine Musik ist seine Musik, Punktum! Er gehört zu keiner Schule dazu, zu keiner Künstlergenossenschaft. Das hat er freilich mit etlichen Großen seiner Kunst gemeinsam: Haydn und Mozart stehen für sich allein, auch wenn es für uns praktisch geworden ist, dass ihnen allen dreien das Leibchen des "Klassiker"-Vereins übergezogen worden ist.

Das bedeutet keineswegs ein Sichausschließen aus der Zeitgenossenschaft. Einem ist wahrhaftig ein Zeitgenosse gewesen oder ganz sicher, besser gesagt: ein Genosse der Zeit, die ihm hier bestimmt war, deren banalen Auswüchsen jeglicher Art in Kultur, Politik oder gesellschaftlichen Kodizes er sich genussreich entgegenstellte.

"Schande für Österreich"

Gern Genosse war er großen Geistern, etwa bedeutenden Menschen aus der Literatur: Carl Zuckmayer, Friedrich Dürrenmatt, Christine Busta - seine zweite Gattin, Lotte Ingrisch, nicht zu vergessen. Und natürlich Bert Brecht. Seine Verehrung und sein Einsatz für ihn - der Dichter verdankte ihm die österreichische Staatsbürgerschaft, mit welcher er aus der DDR-Enge immer wieder herauskam - haben ihm viel Leid und Ärger gebracht. Was hätte das für ein neues "Großes Welttheater" in Salzburg werden können mit dem Dioskurenpaar Einem/Brecht?!

Einem büßte seine Rolle bei den Salzburger Festspielen ein - das ist daraus geworden. Aber ist es nicht auch bezeichnend, dass der Landeshauptmann Salzburgs jener Zeit, der den Komponisten als "Schande für Österreich" bezeichnet hatte, knapp vor seinem Tod das Bedürfnis verspürte, Einem wahrhaftig um Verzeihung zu bitten, die ihm auch gewährt wurde?

Gleichermaßen bezeichnend ist die mehr als "schöne Szene", die den Komponisten auf dem Boden kniend zeigt, vor sich ausgebreitet Orgelwerke des Dieterich Buxtehude. Mit verzweifelt-fragendem Blick wendet er sich von dort an die Organistin Elisabeth Ullmann, die ihn zur Komposition eines Orgelkonzertes angeregt hat: "Wozu? Wo es schon so großartige Musik für die Orgel gibt!"

Erschreckend schön und wahr

Verdis "Rigoletto" und Beethovens Achte Symphonie haben ihn zutiefst erschreckt ob ihrer Schönheit und Wahrheit. Durch ihre Größe fühlte er seine Dürftigkeit und Bedürftigkeit. Mit Anton Bruckner trat er zweimal ins Zwiegespräch: in seinem "Bruckner Dialog", in welchem er seine eigenen Gedanken mit thematischem Material aus dem Torso des Finales der Neunten Symphonie des Florianer Meisters in Zusammenhang bringt. In seiner "Zwettler" Messe spielt die Klanglichkeit von Bruckners e-Moll-Messe eine vorbildhafte Rolle.

Dass er vom Staat Israel als "Gerechter unter den Völkern" bezeichnet wurde, belegt dies nicht des Weiteren, dass wir es hier nicht mit irgendeinem, sondern mit diesem einen Gottfried von Einem zu tun haben, der jetzt wie ehedem als Künstler und Mensch eine Herausforderung darstellt?