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Wie verzeihen? Wie versöhnen?
Als bosnische, kroatische und serbische Vertreter von Kriegsveteranenverbänden ein Dorf nahe der Stadt Brcko besuchten, um gemeinsam an einer Gedenkveranstaltung für die Kriegsopfer teilzunehmen, stießen sie zunächst auf Ablehnung. Zu schmerzhaft sind die Wunden, die durch die Ermordung der Angehörigen geschlagen wurden.
19. März 2018, 02:00
Radiokolleg
Verzeihen und Versöhnen 19 02 2018 | 09:05
"Mehr als zwanzig Jahre nach Kriegsende sind die Fronten im Kopf der Menschen", erklärt Nenad Vukosavlević. Als Vertreter des CNA, des Zentrums für gewaltfreie Aktion mit Sitzen in Sarajewo und Belgrad, arbeitet er am Dialog.
"Orte des Leidens gemeinsam besuchen, um allen Opfern Respekt zu zollen, schafft ein gemeinsames Narrativ", erklärt er. "Allein unsere Anwesenheit hat bewirkt, dass polarisierende Stimmen verstummten. Im Zentrum des Gedenkens steht das Leid der Opfer, und das betrifft alle Seiten."
AP/AMEL EMRIC
Krieg erschüttert das Grundvertrauen in die Gemeinschaft
In kriegerischen Auseinandersetzungen erleben Menschen Grausamkeiten, sie werden Zeugen von Mord und Zerstörung. Das erschüttert ihr Grundvertrauen in die menschliche Gemeinschaft. Die Antwort darauf ist oft neuerlich Gewalt. Um diese zu verhindern, wurde in Bosnien und Herzegowina eine rigide Trennung der Ethnien durchgesetzt. Getrennte Schulen, getrennte Dörfer, getrennte Medien sollen die Rechte von Minderheiten schützen.
"Aber die ethnischen Konflikte werden so einbetoniert. Ein gemeinsames Aufarbeiten der Geschichte findet nicht statt", berichtet die Soziologin Ana Mijić von der Universität Wien. Sie hat den Prozess des Verzeihens im Nachkriegs-Bosnien untersucht und festgestellt, dass sich alle Parteien als Opfer festschreiben. "Es ist bis heute nicht gelungen, eine einheitliche Wirklichkeitsperspektive auf die Kriegsereignisse durchzusetzen. Ethnisch nationalistische Parteien dominieren nach wie vor die politische Landschaft des fragilen Staates."
AFP/STRINGER
Wahrheitsfindung ist die Voraussetzung für Versöhnung
Die Voraussetzung für den Prozess der Versöhnung ist die Wahrheitsfindung. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag. Dort wurde im Dezember 2017 vorläufig das letzte Urteil gesprochen. Kriegsverbrecher wurden angeklagt und für schuldig erklärt.
AP/WEITZ
Nelson Mandela, 1990
Doch für die Menschen ist der Krieg noch allgegenwärtig. "Was fehlt, ist die gemeinsame Anerkennung dieser Wahrheit von allen Parteien", sagt Nenad Vukosavlevic.
"Opfer sollen nicht vergessen, doch sie können vergeben", Nelson Mandela
Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, gründete Nelson Mandela 1995 in Südafrika den Ausschuss für Wahrheit und Versöhnung. Jeder, der ein Kriegsverbrechen begangen hatte, sollte Amnestie erhalten, wenn er seine Schuld mit lückenloser Offenheit bekannte. Im Menschenrechtsausschuss erhielten Opfer die Möglichkeit, über erlittene Gewalt und Unrecht zu berichten.
Für die Berliner Psychoanalytikerin Vera Kattermann waren diese Prozesse symbolisch. Nachhaltig ließ sich damit Unrecht nicht beseitigen. "Es wurde aber möglich, über Unrecht öffentlich zu sprechen. Und das hat es bis dato in Südafrika noch nie gegeben." Nelson Mandela berief sich auf eine humanistische Grundhaltung. Opfer sollen nicht vergessen, doch sie können vergeben, war seine Überzeugung.
Die Voraussetzung dafür ist Verzeihen. "Täter und Opfer müssen einander als menschliche Wesen erkennen", erklärt die südafrikanische Psychologin Pumla Gobodo-Madikizela, die im Ausschuss für Wahrheit und Versöhnung mitgearbeitet hat. Begleitet wird dieser Prozess von großer Trauer über das, was geschehen und nicht zu ändern ist.