Samaritaner

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Tao

Die unbekannten Kinder Mose

Sie zählen zu den ältesten noch lebenden Volksgruppen im Nahen Osten: Die Samaritaner. So wie das Judentum sind sie damals einige Jahrhunderte vor Christi Geburt aus dem Volk Israel hervorgegangen, bis heute verfügen sie über eine eigenständige, kulturelle und religiöse Tradition.

Ihr wohl bekanntester Vertreter ist der sogenannte "barmherzige Samariter" aus dem Lukasevangelium, der in einem Gleichnis des Jesus von Nazareth als Einziger einem Schwerverletzten hilft.

Sie richten sich streng nach den uralten Vorschriften ihrer Bibel und leben heute noch an dem Ort, an dem sie bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden gelebt haben: am Fuße des ihnen heiligen Berges Garizim.

Samaritaner auf dem Berg Garizim

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Wo liegen die Ursprünge der Samaritaner?

Historisch entstammen sie, wie Jüdinnen und Juden, dem Volk der Israeliten. Ihr Heiligtum hatten sie immer schon am Berg Garizim. Joshua, der Nachfolger von Moses, habe der Überlieferung nach den Tabernakel mit dem Allerheiligsten vom Sinai zum Berg Gerizim gebracht. Jerusalem spielt für die Samaritaner - im Gegensatz zum Judentum - keine Rolle.

Laut biblischen Berichten spaltete sich das Königreich der zwölf Stämme Israel vor rund 3.000 Jahren in ein Nordreich Israel und ein Südreich Juda. Die Samaritaner sehen sich als die Nachfahren dieses Nordreichs. Als die Oberschicht des Südreichs Juda aus dem babylonischen Exil bereits mit einer eigenen, neuen Identität zurückgekehrt war, entwickelten sich zwei konkurrierende Heiligtümer und Tempelkulte, in Jerusalem und am Berg Garizim.

In den letzten Jahrhunderten vor Christus sei es schließlich zum Bruch der beiden israelitischen Traditionen gekommen, einerseits habe sich das Judentum formiert, andererseits die Religion der Samaritaner, schildert die Judaistin und Anthropologin Monika Schreiber.

Was hat es mit dem Berg Garizim auf sich?

Der Berg Garizim befindet sich in der Nähe der Stadt Nablus, die im heutigen Westjordanland liegt. Auf diesem Berg befinden sich die Heiligen Stätten der Samaritaner. Die Nachfahren des Priesters Aron, des Bruders von Mose, sollen der Tradition zufolge genau hier, im Allerheiligsten, in einem Zelt ihre Opfer dargebracht haben. Und genauso macht es die Gemeinschaft heute noch.

Die Überlieferung der Samaritaner weicht in einigen Punkten nicht nur von der jüdischen Tradition, sondern auch von der historischen Forschung ab. "Nach aktuellem Stand der Wissenschaft war der Berg Garizim jedenfalls eines der vielen Heiligtümer, die der Gottheit JHWH gewidmet waren und die wahrscheinlich auf die Eisenzeit zurückgehen", erklärt Monika Schreiber.

Diese Heiligtümer bestanden zumeist aus einem Altar mit einem Zelt darüber. Archäologen vermuten aber, dass sich auf dem Berg tatsächlich auch die Ruine eines großen, steinernen Tempels, die noch nicht ausgegraben ist, befindet. Das bestreiten die Samaritaner, für sie hat es diesen Tempel nie gegeben.

Hohepriester mit einer Torah-Rolle

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Hohepriester mit einer Torah-Rolle

Woran glauben die Samaritaner?

Die Samaritaner haben bis heute die alten Riten und Gesetze bewahrt. Im Unterschied zum Judentum kennen sie bis heute Tieropfer und das Hohepriestertum. Ihr Hohepriester entstammt immer der Priesterfamilie Cohen und er entscheidet alle religiösen Fragen. Der aktuelle Hohepriester Aabed-El ben Asher ben Matzliach ist seit 2013 im Amt, er ist 83 Jahre alt, trägt einen weißen Vollbart und empfängt uns im traditionellen Gewand mit einem grauen, kaftanartigen Umhang und einer roten Kopfbedeckung ähnlich einem Fes.

Er erzählt, dass er der 133. Hohepriester seit dem Sohn Arons ist: "Gott wollte, dass ich der Hohepriester werde. Diese Ehre bedeutet auch viel Verantwortung. Ich spende den Segen am Shabbat, muss Streit schlichten und vollziehe die Rituale an den Feiertagen wie zu Pessach." Zudem begleitet er die (männlichen) Samaritaner durch ihr Leben, von der Beschneidung über die Hochzeit bis hin zum Tod. Die ursprüngliche Bezeichnung der Samaritaner lautet Shamerim, was "Bewahrer (des Gesetzes)" bedeutet. Sie halten sich seit Jahrtausenden an die Gesetze der Torah, der fünf Bücher Mose. Ihre Bibel besteht ausschließlich aus dem Pentateuch, spätere jüdische Propheten und Schriften lehnen sie ab.

Die fünf Glaubenssätze der Samaritaner

"Ein Gott, der der Gott Israels ist;
ein Prophet, Moses der Sohn des Amram;
eine heilige Schrift, das Pentateuch: die Torah, wie sie Moses überliefert hat;
eine heilige Stätte, Berg Garizim;
ein letzter Prophet, Taheb, Sohn des Joseph, der ein Prophet wie Moses ist und am Tag des Jüngsten Gerichts am Ende der Zeiten erscheinen wird."

Für die samaritanische Identität sind vier Aspekte zentral: im Heiligen Land leben, an den verpflichtenden Ritualen zu Pessach am Berg Garizim teilnehmen, den Shabbat begehen, so wie es in der Torah geschrieben steht, und die Gesetze von Reinheit und Unreinheit befolgen.

Welche Reinheitsvorschriften gibt es?

Nach den samaritanischen Gesetzen müssen Frauen beispielsweise während ihrer Regelblutung vom Rest der Familie und der Gesellschaft separiert werden, erzählt die Samaritanerin Rania Samri: "Während meiner Regelblutung lebe ich in einem eigenen, abgetrennten Raum, schlafe in einem eigenen Bett, esse aus meinem eigenen Geschirr. Ich muss sieben Tage lang allein sein."

Dieses Tabu gilt auch für Zeit, nachdem eine Frau ein Kind geboren hat. Sie muss 40 Tage lang nach der Geburt eines Sohnes und 80 Tage nach der Geburt einer Tochter vom Rest der Familie getrennt werden. Nicht einmal ihre eigenen älteren Kinder dürfen dann zu ihr, schildert Monika Schreiber. Eine schwierige Phase. Auch diese Tradition ist den Samaritanern wichtig, sie betrachten sie als Marker ihrer Identität. Manchmal falle es ihr schwer, sagt Rania Samri. Aber man müsse das samaritanische Erbe weiter pflegen und weitergeben.

Junger Samaritaner

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Wie viele Samaritaner/innen gibt es und wo leben sie heute?

Die Samaritaner waren einmal ein großes Volk: Von vielleicht mehreren hundert Tausend in der Antike blieben nach mehrfachen Genoziden und Vertreibungen beziehungsweise erzwungenen Konversionen Anfang des 20. Jahrhunderts exakt 141 Menschen übrig. Heute umfasst die Gemeinschaft der Samaritaner wieder rund 800 Mitglieder. Damals wie heute besteht die Gesellschaft aus fünf bis sechs Großfamilienclans.

Geheiratet wird aus Sicht der Community am besten innerhalb der eigenen Familie, wie es immer war. Um Erbkrankheiten, die sich in der Vergangenheit gehäuft haben, zu vermeiden, setzt man verstärkt auf Pränatal-Diagnostik und Heiratsvermittler, die für die samaritanischen Männer Frauen in der Ukraine oder in Russland suchen. Diese müssen dann erst einmal zu den Samaritanern konvertieren. Heute sind die Samaritaner auf zwei Communitys aufgeteilt: Ein Teil lebt in Holon bei Tel Aviv in Israel, ein Teil in Nablus in den palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland. Ein Teil spricht modernes Hebräisch, ein Teil Arabisch. Zu großen Festen kommen die beiden Gruppen am Berg Garizim zusammen.

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