Die Skyline von Tel Aviv, fotografiert aus Jaffa

AFP / THOMAS COEX

Kultur aktuell

Die Autoren Etgar Keret und Assaf Gavron

Sie sind beide um die Fünfzig, leben beide in Tel Aviv und ihre Bücher sind internationale Bestseller: Etgar Keret schreibt in erster Linie Kurzgeschichten, in der die Wirklichkeit gerne ins Surreale kippt, die Romane von Assaf Gavron hingegen beschäftigen sich mit Selbstmordattentätern, der Siedlerbewegung oder britisch-israelischen Geschichte. Eines haben ihre Bücher gemeinsam: den Humor, der zwischen dunkel und tiefschwarz angesiedelt ist. Ö1 hat die Schriftsteller in Tel Aviv getroffen.

Kulturjournal | 05 02 2018

Wolfgang Popp

Ein Schriftsteller ist kein Uhrmacher

Ein Mann, der seinen Lügen begegnet, also all den Wesen, die er im Laufe seines Lebens für diverse Ausreden erstunken und erlogen hat. Oder ein Witwer, der seine tote Frau in einem Pudel inkarniert wiederfindet. Oder ein Mann, der seine Hosentaschen mit den unterschiedlichsten Dingen vollstopft, um gegen alle Angriffe des Zufalls gewappnet zu sein.

Etgar Kerets Metier sind Kurz- und Kürzestgeschichten, in denen aber oft mehr passiert als bei anderen Schriftstellern in ganzen Romanen. Etgar Keret: "Geschichten beginnen für mich, wenn ich etwas beobachte, auf das ich mir keinen Reim machen kann. Wenn ich merke, ich komme ins Stottern, wenn ich diese Begebenheit jemandem erzählen will. Solche Momente der Verwirrung setzen bei mir das Schreiben in Gang und ich habe keinen Schimmer, wohin mich die Handlung führen wird. Deshalb sage ich meinen Studenten auch immer, dass eine Geschichte klüger sein muss als der Mensch, der sie schreibt."

"Wenn man genau weiß, wohin die Reise geht und was zu tun ist, dann ist man Uhrmacher und kein Schriftsteller." Etgar Keret

Die Ungeduld sitzt im Nacken

Durchzogen sind die Geschichten von einem schelmischen Humor, der einem das Lachen aber nicht selten im Hals steckenbleiben lässt. Etgar Keret: "Ich spüre eine Dringlichkeit, wenn ich schreibe, aber auch generell im Leben. Ich bin das Kind von Holocaust-Überlebenden und in Israel aufgewachsen und habe deshalb in meinem Leben schon mindesten fünf Kriege miterlebt.

Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass es da draußen eine große Wahrheit gibt, die wir vor unserem Tod entdecken müssen und deshalb habe ich mein Leben auch nie lässig betrachtet. Meine Familiengeschichte hat einfach gezeigt, dass sich alles jederzeit ändern kann. Und deshalb hat mein Schreiben immer etwas Intensives und Ungeduldiges an sich, weil ich auf etwas kommen möchte, was ich vorher nicht gewusst habe."

Die rosa Blase Tel Aviv

Etgar Keret erzählt, dass er in seinem ganzen Leben nur vier Mal umgezogen sei und sich all seine Wohnungen nur wenige Kilometer voneinander befinden. Er sei eben durch und durch ein Kind seiner Stadt. Etgar Keret: "Tel Aviv ist einzigartig in Israel. Besonders heute, da die extreme Rechte das Sagen hat, ist die Stadt so etwas wie ein sicherer Hafen für mich. Weil hier noch Vernunft und Toleranz herrschen, und Tel Aviv zum Beispiel eine der schwulenfreundlichsten Städte der Welt ist.

Damit ist die Stadt aber in vielerlei Hinsicht völlig anders als der Rest Israels, weshalb die Leute Tel Aviv häufig als Blase bezeichnen. Viele Israelis halten die Toleranz, die hier herrscht, zwar für naiv, ich finde aber, dass die Menschen nur so und nicht anders miteinander leben sollten."

Die aufgetaute Sprache

Etgar Keret schreibt in Ivrit, dem modernen Hebräisch. Das entstand Ende des 19. Jahrhunderts aus dem alten Hebräisch, das damals seit fast 2.000 Jahren nicht mehr in Gebrauch war. Etgar Keret: "Meinen Studenten sage ich immer mit dem modernen Hebräisch ist es wie mit dem Superhelden Captain America. Der war auch eingefroren und wurde an einem willkürlichen Zeitpunkt in der Geschichte von der Mikrowelle des Lebens wieder aufgetaut. Plötzlich wurde die Sprache wieder gesprochen und die Wirkung ist erstaunlich: Weil sie aus dem tiefen Altertum kommt, könnten nämlich Abraham oder Isaak, wenn sie heute in Tel Aviv in ein Taxi stiegen, ohne Probleme mit dem Fahrer sprechen, was für Shakespeare nicht möglich wäre, würde er in New York ein Taxi nehmen."

Geschichte zweier Hauptstädte

Weil Shakespeare gerade in Übersee weilt, kommen wir natürlich auf den amerikanischen Präsidenten zu sprechen und die Unruhe, die seine offizielle Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels ausgelöst hat. Etgar Keret: "Was sich an seiner Aussage herauslesen lässt, ist das Eingeständnis, dass die USA zwar grundsätzlich auf Seiten Israels steht, aber nicht mehr zwischen Israel und den Palästinensern vermitteln will und deshalb dieses Feld den Europäern überlässt."

Politisches Engagement

Etgar Keret gilt als vehementer Kritiker der rechtskonservativen Netanjahu-Regierung. Als sie zuletzt die Abschiebung von 35.000 afrikanischen Flüchtlingen beschloss, hat sich Keret zusammen mit Dutzenden anderen Schriftstellern von Amos Oz über Meir Shalev bis zu David Grossmann mit einer Petition zu Wort gemeldet.

Wir rufen Sie dazu auf, moralisch, menschlich und mit dem dem jüdischen Volk würdigen Mitgefühl zu handeln und die Abschiebung der Asylsuchenden in die Hölle, aus der sie geflüchtet sind, rechtzeitig zu stoppen.

Was Keret in der laufenden Politdebatte besonders beklagt: Dass die Fronten zwischen links und rechts weltweit so verhärtet sind, dass es zu keiner konstruktiven Diskussion mehr kommt. Was er so nicht kennt, obwohl viele Familienessen in seiner Jugend einem Tanz auf dem Vulkan geglichen haben. Etgar Keret: "Meine Eltern waren ursprünglich beide rechts, wie es häufig bei Holocaust-Überlebenden der Fall war, weil die Linke kommunistisch war und die Rechte damals noch als liberal und demokratisch galt. Als vor gut zwanzig Jahren Netanjahu kam, haben sie sich aber beide von den Rechten verabschiedet. Als ich jung war, saßen zu Hause aber meine rechten Eltern zusammen mit mir Linken, meiner ultraorthodoxen Schwester, die sich weigert wählen zu gehen, und meinem ultralinken antizionistischen Bruder zusammen an einem Tisch. Und obwohl wir völlig konträrer Meinungen waren, wollten wir doch alle, dass die Welt zu einem besseren und gerechteren Ort wird."

Der Taxifahrer als Historiker

Im alten Norden Tel Avivs, nicht weit vom Yarkon-Fluss entfernt, wohnt Assaf Gavron. Jahrelang hat Gavron im Ausland gelebt, in England, in den USA und auch ein Jahr in Berlin. Jetzt ist er aber froh wieder in Tel Aviv zu sein. Und auch sein neuer Roman "Achtzehn Hiebe", der Ende des Monats in deutscher Übersetzung herauskommt, feiert die Stadt. Der Protagonist Eitan ist nämlich Taxifahrer.

Assaf Gavron: "Er erzählt ungefragt jedem, nach wem die jeweilige Straße benannt ist, und seine Fahrgäste sind dabei ganz unterschiedlich. Da gibt es eine Punkerin, einen Geschäftsmann oder Touristen und es entsteht nach und nach eine Art Landkarte von Tel Aviv, auf der die Geschichte der Stadt und ihre Bewohner zueinander finden."

Zwischen Selbstmordattentaten und Lethargie

Eitan hat schon in einem früheren Roman Gavrons die Hauptrolle gespielt. In "Ein schönes Attentat", so der Titel, wurde er für kurze Zeit zu einer Berühmtheit im Boulevardfernsehen, weil er innerhalb weniger Tage gleich drei Anschläge überlebte. Mit "Achtzehn Hiebe" setzt sich jetzt nicht nur die Geschichte Eitans fort, sondern auch die Geschichte der Stadt. Assaf Gavron: "In den letzten Jahrzehnten gab es schreckliche Selbstmordattentate in Tel Aviv. Das war eine sehr entmutigende Zeit. Heute ist die Situation weitaus sicherer und dennoch herrscht eine bedrückende Atmosphäre. Der Grund ist unsere deprimierende, ja gefährliche Regierung, die Gesetze erlässt, die die Demokratie in Frage stellen und einen Durchbruch im Friedensprozess immer unmöglicher werden lassen."

Schluss mit der Besatzung

Wie Etgar Keret fällt auch Assaf Gavron wenig Gutes zu Premier Benjamin Netanjahu und seiner nationalistischen Politik ein. Mit seiner Kritik hält er nicht hinterm Berg. So ist er ein aktiver Unterstützer der NGO "Breaking the Silence". Diese aus ehemaligen und aktiven Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte bestehende Organisation berichtet über den Alltag in den besetzten Gebieten und die Übergriffe auf palästinensische Zivilisten. Als "Breaking the Silence" ein Buchprojekt anstieß, steuerte Gavron auch gleich einen Essay bei, in dem es um die Schikanen geht, denen die palästinensische Fußballnationalmannschaft ausgesetzt ist.

Assaf Gavron: "Ich bin stolz, dass mein Essay in dem Buch ist. Das hat mir bei vielen Israelis zwar mit Sicherheit keine Pluspunkte eingebracht, aber ich glaube nun einmal fest daran, dass es Zeit ist, die Besatzung zu beenden und deshalb glaube ich auch an die Organisation ‚Breaking the silence‘. Ich war in meiner Militärzeit selbst in den besetzten Gebieten stationiert und weiß deshalb, dass alles stimmt, was sie behaupten."

Eine Sprache wie aus Gummi

Assaf Gavron ist das Kind britischer Juden, hat zehn Jahre in London gelebt, besitzt den britischen Zweitpass und spricht fließend Englisch. Und schreibt seine Romane trotzdem alle auf Ivrit. Assaf Gavron: "Der Wortschatz im modernen Hebräisch beträgt zwar gerade einmal ein Drittel des englischen Wortschatzes, gleichzeitig verfügt das Hebräische aber über eine ungewöhnliche Elastizität. Weil es eine junge Sprache ist, die sich permanent weiterentwickelt und dabei von vielen Sprachen beeinflusst wird."

Ja, und außerdem war es ein Vorfahre von Gavron, der an der Wiederbelebung des modernen Hebräisch mitgearbeitet und die Wörter für Kultur und Straße erfunden hat. Die Kultur, für die Gavron steht und die Straßen, die sein Eitan kreuz und quer durch Tel Aviv fährt.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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