Abgeschnittene Getreidehalme

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Radiokolleg

Die Naturvergessenheit des modernen Menschen - ein Blick aus der Zukunft

Die Welt des Jahres 2018 war eine Welt, in der allein in Europa täglich eine Fläche von mehreren hundert Fußballfeldern verbaut oder asphaltiert wurde. Es galt als absolut normal, dass Berufstätige einen Großteil ihres Tages in Aquarien verbrachten, deren Fenster nicht zum Öffnen gedacht waren.

Selbst im Sommer schien den Leuten hinter Glas der Außenbezug gar nicht groß zu fehlen. Im Gegenteil, viele stiegen nach der Arbeit in ebenso verglaste, geschlossene Transportkisten. Wohlstand setzten sie mit einem Leben in Boxen gleich.

Chemiecocktails mit viel Fett und Zucker gehörten längst auch zur europäischen Esskultur. Solches Fake Food zu verkaufen, war ebenso erlaubt, wie Ackerböden mit chemischen Pflanzen- und Insektenkillern zu vergiften, oder Industrien zu betreiben, die weiträumig totes Land hinterließen. Wie krank und irre war denn das?

Burger mit Erdäpfel

AP/SUPAPRE/ABACA PRESS

Auch Intellektuelle leisteten sich damals, 2018, noch den Luxus, gewisse Prämissen der Moderne unhinterfragt zu übernehmen. Die fortschreitende Technologisierung aller Lebensbereiche bis ins Körperinnere wurde als so naturhaft wie die Evolution dargestellt. Die daraus entstehenden ökologischen Probleme - etwa durch wachsenden Energiebedarf oder Materialbeschaffung für Elektronik - würde man durch noch mehr, jedoch schlauere Technologien neutralisieren.

Um Probleme zu lösen, entwickeln wir Technologien, ohne zu wissen, welche Probleme diese wiederum erzeugen.

Die Sendungsmacherin in unserem "Rückblick aus der Zukunft" wollte natürlich auch nicht rückwärtsgewandt erscheinen. Darum holte sie sich Expert/innen vors Mikro, die 2018 in Sachen Biotechnologie, künstliche Intelligenz oder Neurowissenschaft an vorderster Front involviert waren. Wie die Künstlerin, Forscherin und Umweltaktivistin Pinar Yoldas.

"Es gibt all diese Geo-Engineering-Projekte, bei denen Chemikalien in die Atmosphäre eingebracht, oder Maschinen konstruiert werden sollen, die CO2 aufsaugen können. Also: Wir haben Probleme, und um sie zu lösen, produzieren wir Technologien.

So wie in der Vergangenheit in den USA, wo die großen Distanzen zwischen den Städten (und in den Städten) durch schnellere Verkehrsmittel überbrückt wurden. Doch so entstanden Städte, die dem Maßstab von Autos und nicht dem von Menschen oder Pferden entsprachen.

Diese Technologie führte zu weiteren Problemen. Was als schöne logische Lösung begonnen hatte, endete als Problem. Und dann entwickelten wir gegen diese neuen Probleme weitere Technologien. Ohne zu wissen, welche Probleme diese wiederum auf lange Sicht erzeugen würden.

Was lernen wir daraus? Mit technologischen Antworten müssen wir sehr vorsichtig sein. Vielleicht ist die richtige Frage nicht: Wie bekommen wir das CO2 durch Maschinen wieder aus der Atmosphäre heraus? Vielleicht ist das die falsche Frage."

Die Balance zwischen Bedürfnissen von Natur und menschlicher Zivilisation war zu allen Zeiten ein komplexer Aushandlungsprozess.

Die ökologische Rechnung unterm Strich, die gigantische Zerstörung von Glückspotentialen: Die Menschheit im Jahr 2018 produzierte einen grob fehlerhaften Output, daran jedenfalls war nicht zu rütteln.

Andere Lebewesen galten in der Praxis wenig. Auch Menschen hielten einander oft alles andere als artgerecht. Die Sendungsmacherin anno 2018 hielt einen Paradigmenwechsel in unserem Naturverhältnis für unumgänglich. Wer sind wir wirklich? Und was ist unsere Rolle hier? Die Frage war neu zu stellen.