15. März 2018, 02:00
Hörbilder | 10.02.2018 | 9.05 Uhr
Seit 40 Jahren kämpft Michael Pfleger gegen die Brutalität der Gangs in Chicagos Süden. Dem weißen Pfarrer in einem afroamerikanischen Viertel geht es weniger um das Seelenheil seiner Gemeinde, vielmehr konfrontiert er laut und provokativ die drittgrößte Stadt der USA mit ihren Sünden: der Waffengewalt, dem Rassismus und der ökonomischen Ausgrenzung.
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„Rassismus liegt in Amerikas DNA“, ruft der katholische Priester Michael Pfleger von der Kanzel der St. Sabina Kirche in Chicago. Und der weiße Priester erntet dafür von der afroamerikanischen Gemeinde laute Zustimmung.
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Nicht erst seit der Wahl Donalds Trumps zum Präsidenten kämpft Father Mike in der verarmten Gegend rund um die St. Sabina Kirche mit den Folgen von Rassismus und liberalen Waffengesetzen.
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Über 520 Schusswaffenopfer zählt die Stadt alleine in den ersten neun Monaten 2017. Die South Side an den Westufern des Michigansees ist in den vergangenen 2 Jahren von einer nie da gewesenen Gewaltwelle erfasst.
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Als ein Notsignal, dass die St. Sabina Gemeinde, wie die gesamte South Side Hilfe zur Beendigung der Gewalt benötigen, weht vor Father Mikes Kirche die "Stars and Stripes", die US- Flagge verkehrt im Wind. In den USA Präsident Trumps erntet der Priester dafür Wut und Hass.
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Über ein Jahrzehnt wurde das Viertel und seine Bewohner vernachlässigt. Investitionen in Jobs, Wohnungen, Bildung und auch für Infrastruktur wurden nach der Finanzkrise 2008 verlangsamt, durch die Budgetkrise des Bundesstaates Illinois völlig zum Erliegen gebracht. Der Norden Chicagos boomt, während die South Side stetig in sich zusammenfällt.
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Wer die Chance hat, flieht in den Norden oder in eine andere US-Stadt. Dass sein Viertel von der Politik vergessen wird, erzürnt Father Mike:„Wenn man zwei Löwen in einen Käfig steckt und sie nicht füttert, werden sie sich gegenseitig umbringen.“
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"Bei über 54.000 jungen Arbeitslosen in der Stadt dürfen wir uns nicht wundern, wenn Gewalt ausbricht." Viele von jenen, die bleiben, vor allem junge Männer bewaffnen sich oder schließen sich einer der unzähligen Straßengangs an.
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Ohne Hilfe der Polizei spricht der weiße Priester auf Augenhöhe mit Gangmitgliedern, vermittelt Waffenstillstände zwischen rivalisierenden Gruppen oder versucht einzelne Mitglieder zu überzeugen, das Morden zu beenden. Pragmatisch bietet er auch Geld für anonyme Hinweise und Informationen, die zu Tätern führen.
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Persönliche Attacken oder Bombendrohungen sind die gefährlichsten Reaktionen auf den Friedensaktivisten von St. Sabina. Nicht etwa Gangmitglieder greifen den Priester an, sondern weiße Rassisten und extreme Mitglieder der Waffenlobby NRA.
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Die einen stört, dass er in seiner Kirche das Bildnis eines schwarzen Jesus zeigt.
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Mitglieder der Waffenlobby hassen Michael Pfleger für seine Forderung nach einer Beschränkung und Lizenzierung von Handfeuerwaffen: „Beim Amoklauf in Las Vegas kamen 59 Menschen ums Leben. Am gleichen Wochenende wurden in Chicago 35 Menschen erschossen. Wann beenden wir diesen Waffen-Wahnsinn?“ kritisiert Michael Pfleger Anfang Oktober 2017.
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Für seine mutigen Äußerungen bezahlt der Priester mit ständiger Unsicherheit. Zehn Jahre lang wurde er von der Chicagoer Polizei beschützt. Noch heute tut der Priester keinen Schritt ohne Begleitung von Sicherheitspersonal.
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Michael Pfleger wird nicht die Wunden der South Side heilen können. Aber er vertraut darauf, dass nachbarschaftliche Selbsthilfe und öffentliche Aufmerksamkeit das stille Sterben in der South Side stoppen können.
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Pfleger ist ein Priester, der aufrüttelt anstatt seine Kirchengemeinde sanft in Spiritualität und Seelenheil zu betten.
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Vor der Auslage von Chuck's Gunshop am Rande Chicagos liegt der 68-jährige katholische Priester auf dem Gehsteig mit einem Megafon in der Hand. Wütend fordert Father Mike die Schließung des Geschäftes und schreit: "Wir können nicht so tun, als hätten wir die Situation im Griff", bis ihn die Polizei wegträgt. Die vergangenen zwei Jahre gelten als die tödlichsten seit Jahrzehnten in Chicago. Schussopfer und Begräbnisse sind Alltag in seiner St. Sabina Kirche. Rivalisierende Gangs gibt es hier seit Generationen.
Jugendlichen in der South Side bleiben oft nur zwei Möglichkeiten: sich selbst zu bewaffnen oder dem Viertel zu entfliehen. Chicago ist eine geteilte Stadt. Während man im Süden nahezu täglich mit dem Tode bedroht wird, pulsiert im Norden der Stadt die Wirtschaft und das Leben. Deshalb weht vor Father Mikes Kirche die US-Flagge verkehrt herum im Wind. Es ist kein unpatriotisches Sakrileg, sondern ein Hilferuf.
Feature von Christian Lerch. Prod. WDR 2017.
Sie können die Sendung bis 10. Februar 2018 nachhören unter 7 Tage Ö1.