Frauen mit und ohne Kopftuch

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Praxis

Afghaninnen in Österreich - fragile Lebenswelten

Wenn in den Medien über Afghanen in Österreich berichtet wird, dann meistens im Zusammenhang mit Gewalttaten. Wer in diesen Diskussion de facto nicht vor bzw. zu Wort kommt sind afghanische Mädchen und Frauen. Dabei sind der Kultur-Clash und die Umstellung auf die österreichische Gesellschaft für afghanische Frauen noch größer. Aber, vor allem die jungen Frauen und Mädchen, scheinen damit schneller und besser fertig zu werden als ihre Brüder, Väter und Ehemänner.

Die 19-Jährige Hatise trifft man oft dort, wo man eine junge afghanische Frau vielleicht am wenigsten erwarten würde: In einer Sporthalle im zweiten Wiener Bezirk. Sie spielt dort Fußball, genauer: sie trainiert dort einmal wöchentlich mit Mädchen und Buben Fußball. Ihre eigenes Frauenfußballteam trainiert in Favoriten.

Manchmal war es schwierig, hier zu leben, aber dann habe ich mich gefunden.

Vor circa zweieinhalb Jahren ist sie nach Österreich gekommen. Davor hat die junge Afghanin sechs Jahre lang im Iran gelebt, wohin sie sich mit der Familie ihres wesentlich älteren Bruders geflüchtet hatte. In Afghanistan konnte sie nur eine Koran-Schule besuchen, im Iran haben einige afghanische Flüchtlingsfamilien selbst Unterricht und Lehrmaterialien für ihre Kinder organisiert. So hat Hatise lesen und schreiben gelernt. In Österreich ist sie als 16-Jährige angekommen und war damit nicht mehr schulpflichtig. Ein zähes Ringen und Warten um Deutschkurse und Weiterbildungskurse hat begonnen. Derzeit holt sie ihren Pflichtschulabschluss nach.

Vor kurzem hat sie einen positiven Asylbescheid bekommen, sie darf bleiben. Hatise fühlt sich hier frei. Sie kann sich im Vergleich zu anderen afghanischen Frauen und Mädchen hier auch relativ frei bewegen und entscheiden. Ihre Eltern und der Rest der Familie sind in Afghanistan geblieben, sehr viel Kontakt hat sie nicht zu ihnen. Und ihr Bruder, mit dem sie hergekommen ist, mische sich nicht in ihr Leben ein, sagt sie. In Österreich hat sie ihr Kopftuch abgelegt und auch ihre Einstellung zur Religion geändert. Früher sei sie sehr religiös gewesen, heute nicht mehr, sagt sie.

Wo ich herkomme, da haben Frauen keinen Wert. Die Männer sagen: Wir sind oben und ihr seid unten.

Bei einem Frauenfest des Diakonie Flüchtlingsdienstes Anfang März in Wien engagieren sich auch die beiden jungen Afghaninnen Sahar und Malia. Malia ist 22 Jahre alt und vor sechs Jahren nach Österreich gekommen, sie ist auffällig modisch gekleidet, perfekt geschminkt und trägt ihr Kopftuch turbanartig. Sie macht beim Frauenfest bei einer Modenschau mit und sagt, sie lege viel Wert auf ihr Styling. Noch viel wichtiger sei ihr aber ihr beruflicher Erfolg. Als 16-jährige musste sie erst einmal Deutsch lernen, dann den Pflichtschulabschluss nachholen und konnte dann erst mit einer Lehre beginnen. Sie möchte auch noch die Matura nachholen, um ihren Traum zu verwirklichen, Medizin zu studieren. Als eine von wenigen afghanischen Frauen lebt sie in ihrer eigenen Wohnung.

Sie möchte ihren richtigen Namen nicht nennen, aus Angst vor dem Druck der afghanischen Community. Sie habe großes Glück, dass ihre Eltern aufgeschlossen seien und sie nicht einengen würden, sagt Malia. Das sei nicht selbstverständlich, immerhin kämen sie aus einfachen Verhältnissen, seien Analphabeten. Sie rechnet es ihren Eltern hoch an, dass sie sie in ihrer schwierigsten Phase nicht verstoßen haben: nämlich als sie Anfang 20 ihre Verlobung mit einem Afghanen wieder gelöst hat. Ein absolutes Tabu in der afghanischen Gesellschaft.

Hier ist es anders. Alle werden gleich behandelt. Du musst nicht mit zwölf Jahren einen Mann heiraten, der vierzig ist.

So selbstbestimmt und stark Malia ist, im Gespräch mit ihr wird der schwierige Balanceakt deutlich, den die meisten afghanischen Mädchen und Frauen meistern müssen - zwischen dem Aufbruch in ein neues, emanzipiertes Leben und der Loyalität gegenüber Familie, Community und traditionellen Werten.

Diese Ambivalenz klingt auch bei der 15-jährigen Sahar an. Sie ist eine ehrgeizige Schülerin, spricht nach drei Jahren in Österreich schon gut Deutsch und ist außerdem dreifache, österreichische Staatsmeisterin im Thaiboxen und Kickboxen.

Sahar trägt ein schalartiges Tuch, das nur den Hinterkopf bedeckt, zum Trainieren und bei Wettkämpfen nimmt sie es überhaupt ab. Sie fühle sich in Österreich endlich frei, könne ohne Angst in die Schule gehen, trainieren und niemand könne sie zu etwas zwingen. Eine ganz andere Erfahrung als die Mädchen in Afghanistan machen, sagt Sahar.

Wenn ich ohne Tschador im Freien war, hat mein Bruder gedroht, mich zu töten.

Die 22-jährige Fatime ist vor gut zwei Jahren mit ihrem Mann und ihrem nur wenige Monate altem Kind nach Österreich geflohen. Mit ihnen lebt sie im Haus Rossauer Lände der Diakonie. Deutsch hat sich die junge Mutter quasi selbst beigebracht. Klein und schmal, zerbrechlich wirkt sie fast.

Ein Rückblick auf ihr Leben in Afghanistan: Nach dem Tod ihres Vaters, hat Fatimes Halbbruder die Rolle des Familienoberhauptes übernommen. Er habe sich aufgeführt wie ein Mullah, meint sie. Religion ist für sie seither auch ein Werkzeug der Unterdrückung von Frauen.


In die Moschee gehe sie heute nicht mehr. Zuhause, in der Stadt Ghazni, wurde sie bei der geringsten Widerrede von ihrem Halbbruder verprügelt, über Jahre hinweg. Mit 17 Jahren hat er sie an einen seiner Bekannten verheiratet und sie gezwungen, den schwarzen Tschador zu tragen.

Für Fatime ist Österreich der Ort der Freiheit, ihrer persönlichen Freiheit. Vor kurzem hat sie einen negativen Asylbescheid bekommen. In erster Instanz. Seit 2016 werden verstärkt Menschen nach Afghanistan zurückgeschoben. An ihre Rückkehr will Fatime nicht denken.

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