Herz auf vereister Winfschutzscheibe

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Diagonal

Die Liebe und die Schmetterlinge im Gehirn

"Liebe im Gehirn: Cocaine for Free": So nennt ein Neurobiologe die Auswirkungen von Verliebtheit. Ist es tatsächlich so schlimm? Was passiert im Gehirn, wenn Menschen sich verlieben?

Der deutsche Neurobiologie Bartels schrieb Ende der Neunziger Jahre gemeinsam mit seinem Kollegen Semir Zeki eine E-mail an tausende britische Studierende. Falls sie "truly, madly" und "deeply" verliebt sein, sollen sie sich melden. Die Forscher steckten schließlich elf Frauen und sechs Männer nach eingehender Prüfung deren Verliebtheit mittels Lügendetektortest in einen Magnetresonanztomografen.

Während sich die Probanden Fotos der geliebten Person anschauten, maßen die Neurowissenschaftler deren Hirnaktivität. Das Ergebnis: Regionen, die mit negativen Gefühlen einhergehen, so wie Trauer, Angst oder Aggressionen, schienen wie ausgeknipst. Areale, die mit Glücksgefühlen zusammenhängen, leuchteten dagegen auf: Die Verliebten benahmen sich, als hätten sie Kokain genommen.

Ein künstliches Herz

Ein künstliches Herz aus Titan... ...würde gegen Liebeskummer vermutlich auch nicht helfen. Schließlich spielt sich Verliebtsein zu einem großen Teil im Gehirn ab.

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Liebe als Suchtverhalten

Im Zustand des Verliebtseins scheint der Mensch seiner biologischen Hirnchemie ausgeliefert. Selbst Neurowissenschaftler wie Andreas Bartels bezeichnen Verliebte als "Opfer". Warum wir uns in jemand Bestimmten verlieben, das bleibt laut Forschern oft im Dunkeln - wissenschaftlich gesehen. Was danach passiert ist jedoch sehr gut erforscht, sagt Karl Grammer. Er ist emeritierter Professor an der Universität Wien und hat lange zu Liebe und Partnerwahl geforscht. Wenn wir uns verlieben, werden zunächst Hormone wie Epinephrin und Adrenalin ausgeschüttet, sagt Grammer: "Das sind sozusagen die Amphetamine des Gehirns. Das heißt das Gehirn wird aufgeputscht, es nimmt seine Umgebung anders war."

Herz in Brusthaar rasiert

Macht Liebe dumm? Das ist umstritten, bei Männern deutet zumindest eine Studie darauf hin.

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Sexualhormone, Opiate und Stimmungsaufheller

Dazu kommen Sexualhormone wie Östrogen und Testosteron, die ebenfalls auf die kognitiven Fähigkeiten wirken. So hätten Studien gezeigt, dass vor allem Männer unter dem Einfluss von Testosteron einen Teil ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit verlieren, sagt Grammer: "Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Liebe dumm macht." Zumindest in einem Experiment von vielen. Ähnlich signifikante Studienergebnisse, die sich auf kognitive Fehlleistungen verliebter Frauen beziehen, konnte Grammer nicht nennen. Universell bei Männern und Frauen scheint zu sein, dass im Zustand des Verliebtseins Grundbedürfnisse in den Hintergrund treten. Verantwortlich dafür ist laut Neurobiologin Daniela Pollak die Freisetzung körpereigener Opiate und ein Stoff namens Phenylethylamin. "Phenylethylamin ist sehr ähnlich synthetischen Stoffen, die als Stimmungsaufheller verwendet werden, Ecstasy zum Beispiel. Auf lange Zeit gesehen ist das nicht positiv für unseren Körper, weil wir dann sehr aktiv sind, aber ein geringes Bedürfnis nach Essen, Trinken oder Schlaf haben.“

Das Phenylethylamin ist eines dieser körpereigenen Endorphine, die in uns dieses High machen, das Gefühl der Schmetterlinge im Bauch.

Bindungshormone und der Nucleus Acumbens

Und schließlich kommen auch die Bindungshormone Vasopressin und Oxytocin zum Tragen. Sie führen dazu, dass man sich an den optischen Eindruck des verliebten Subjektes bindet. "Abgelegt" wird diese Bindung im Nucleus Acumbens, jenem Teil des Gehirns, der für Sucht verantwortlich ist, sagt der Verhaltensbiologe Karl Grammer: "Der wird nicht nur erregt, wenn man verliebt ist, sondern auch wenn man Kokain nimmt oder z.B. bei Männern wenn sie Tausend-Dollarscheine sehen. Liebe ist sozusagen ab dem Punkt eine Sucht“. Vasopressin und Oxytocin sind nicht nur für unser Bindungsverhalten verantwortlich. Vasopressin reguliert etwa den Wasserhaushalt des Körpers. Oxytocin - auch bekannt als "Kuschelhormon" - leitet bei einer Geburt die Wehen ein und steuert dann die Milchproduktion. Beiden Hormonen ist gemeinsam, dass sie durch Berührungen ausgeschüttet werden.

Das ist mit ein Grund, wieso Lust und Liebe oft ineinander über gehen, erklärt die US-amerikanische Anthropologin Helen Fisher. "Deshalb ist beiläufiger Sex nicht immer so beiläufig", erklärt die Professorin in einem Ted-Talk: "Mit dem Orgasmus bekommt man einen Dopaminhöchststand, und deshalb kann man sich in jemanden verlieben, mit dem man nur beiläufig schläft“. Helen Fisher soll zu Studierenden einmal scherzhaft gesagt haben: "Don’t copulate with people you don’t want to fall in love with, because indeed you may do just that." Schlafen Sie nicht mit jemandem, in den Sie sich nicht verlieben wollen. Weil es könnte Ihnen exakt das passieren. Freilich: Muss es auch nicht.