Gemäldekisten

ORF/CHRISTIAN LERCH

Hörbilder

Monumente verschwindender Kunst

Zollfreilager sind heute Heimat wertvoller Schätze des weitgehend unregulierten Kunstmarktes. In ihnen verbergen sich Privat- und Stiftungssammlungen zur Steuervermeidung, Investment-Kunst oder auch antike Raubkunst.

Repräsentative Kunstdepots, für Besucher zugängliche Schaulager, Museen oder Galerien und auch private Räumlichkeiten für Kunst werden zunehmend von Zollfreilagern abgelöst. Diese sogenannten Freeports in Genf, Singapur oder Luxemburg sind „extra-national“. Zollfreilager gelten als Hochsicherheitsräume und werben mit steuerbefreitem Status. In diesen Lagerräumen manifestieren sich die Finanz-, Kapital- und Datenströme des globalen Kunstmarktes.

Als Gebäudeart reihen sich Zollfreilager als neuartiger Typus in den Bestand „logistischer Landschaften“ ein: Blackbox-Bauten, meist an den Peripherien globalisierter und vernetzter Städte, ausgewählt an Hand von Aspekten der Logik von Waren-, Kapital- und Datenflüssen.

Ports Francs

ORF/CHRISTIAN LERCH

Auf den ersten Blick ist Ports Francs einige Kilometer unweit der französischen Grenze im südwestschweizerischen Genf nichts weiter als ein schlichtes fünfstöckiges Lagergebäude. Die Besonderheit der hinter Stacheldraht liegenden und von Hunderten Kameras überwachten 50.000 m2 großen Fläche, ist dem zoll- und steuerbefreiten Status des Lagers geschuldet. Ursprünglich wurde es vom Kanton Genf geschaffen, zur Erleichterung des Freihandels mit den Französischen Nachbarn. Heute sind auf Zweidrittel der Fläche Kunstobjekte gelagert. Hinter den restlichen blauen Stahltüren lagern teure Weine, Diamanten oder Schmuck. Die Identitäten der Besitzer und Mieter der Lagerräumlichkeiten sind undurchsichtig oder durch Briefkastenfirmen und komplexe Firmenverflechtungen verschleiert.

Zaun und Auto

ORF/CHRISTIAN LERCH

Die Intransparenz des Kunstmarktes

Schätzungen gehen davon aus, dass allein im Zollfreilager Genf über 120.000 Kunstwerke im Wert von mehreren Milliarden Euro aufbewahrt sind. Aufzeichnungen oder Inventarlisten des Lagers existieren nicht. Der Schweizer Zoll und die Steuerbehörden haben nur bei Stichproben oder bei konkreten Verdachtsfällen Zugang zu den Lagerräumlichkeiten. Die garantierte Anonymität und Sicherheit machen Zollfreilager für Besitzer und Käufer von Kunst attraktiv, erklärt der New Yorker Anwalt Thomas Danziger. Sein vermögendes Klientel, Sammler und Investoren, schätzen, dass in Freeports Werte und Eigentumstitel flexibel und legal, für den Fiskus außer Reichweite sind. Sie benutzen Zollfreilager sowohl als Lagerstätten, wie auch als Marktplatz.

Gemäldekisten

ORF/CHRISTIAN LERCH

Thomas Danziger: "Das Schöne ist, dass wir nicht wissen, was drinnen ist, und dass wir es niemals wissen werden. Zollfreilager werden benutzt, um Kunst verborgen zu lagern. Die Kunstwerke sind dort in Kisten verpackt und keinem Sammler, Investor oder sonst jemanden ist es erlaubt, die vermieteten Lagerräume zu betreten.“ Thomas Danzigers Klienten müssen - im Unterschied zum Handel mit Immobilien und Aktien - bei An- oder Verkauf von Kunstwerken innerhalb eines Zollfreilagers keinerlei rechtlichen Auflagen beachten. Die Opazität des globalen Kunstmarktes findet in der Abgeschlossenheit der Zollfreilager ihren baulich-physischen Ausdruck.

Ein schwarzes Loch im Schatten des Mont Blanc

Allein durch Zufall stiess 2016 die Staatsanwaltschaft Genf im Zollfreilager auf syrisches Raubgut. Die Terrororganisation IS hatte aus Grabungsstätten in Palymra wertvolle Reliefe und Tonbüsten aus dem 2. Jh.n.Chr. geplündert und wollte diese von Genf aus illegal auf dem europäischen Antikmarkt verkaufen. Im Freeport Genf vermuten Kunstdetektive das seit langem verschollene Amedeo Modigliani Gemälde “Sitzender Mann mit Stock”(1918). Das Gemälde war im Besitz der Pariser Galeristenfamilie Stettiner, die gezwungen war das Bild bei ihrer Flucht 1940 den Nationalsozialisten zu überlassen.

Pablo Picassos Stieftochter Catherine Hutin-Blay wurde in dem Zollfreilager fündig auf der Suche nach einem gestohlenem Porträt ihrer Mutter. Die spanische Justiz wiederum führten die Panama Papers nach Genf, bei Recherchen nach Gemälden, die zum Zweck der Geldwäsche gekauft und versteckt waren.

Lagerräumlichkeiten

Lagerräumlichkeiten

ORF/CHRISTIAN LERCH

Der Ruf nach Regulierung

Die spektakulären Funde und Skandale im Zollfreilager Genf führten dazu, dass die Betreiber verstärkt Informationen über Mieter und wirtschaftlich Begünstigte einfordern. Da der Kunsthandel unreguliert sei, würden jedoch Veränderungen, wie Kontrollen oder Regulationen, erst nach Fällen von Mißbrauch durchgeführt, krisiert der Schweizer Anti-Korruptionsexperte Thomas Christ. Was den Kampf gegen Geldwäsche im Zollfreilager betrifft, ist Christ pessimistisch: “Jede Plattform die es gibt, wird benutzt und es ist an den Fingern abzuzählen, dass der Kunsthandel dazu besonders geeignet ist. Denn seit die Schweizer Banken reguliert sind und eine sogenannte ‚Weißgeldstrategie’ verfolgen, drückt Schwarzgeld auf den globalen Kunstmarkt.”

Der Jurist schätzt sogar, dass Schwarzgeld zu 40 Prozent dafür verantwortlich ist, dass die Preise auf dem Kunstmarkt in den vergangenen fünf Jahren explodierten. Speziell zeitgenössische und Serielle Kunst wird von Investoren gesucht und aufgekauft. Dabei ist es weniger wichtig, dass die erstandene Kunst sichtbar ist, sondern vielmehr, dass sie in Sicherheit - meist in einem Zollfreilager - bis zum gewinnbringenden Weiterverkauf verwahrt ist.

Gestaltung