Bernd Uhlig
Tragische Familienaufstellung
Burg zeigt US-Theaterklassiker von O'Neill
Andrea Breth inszeniert am Wiener Burgtheater Eugene O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht" mit Corinna Kirchhoff und Sven-Eric Bechtolf. Mit ihm sprach Ö1 vor der Premiere am 14. April.
15. Mai 2018, 02:00
Mittagsjournal | 14 04 2018
Kulturjournal | 16 04 | Sven-Eric Bechtolf im Interview
Als erster US-amerikanischer Dramatiker überhaupt wurde Eugene O'Neill 1936 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet; sein Werk gilt als Wendepunkt des amerikanischen Theaters hin zur Tragödie. 1941 vollendete O’Neill seine Familientragödie "Eines langen Tages Reise in die Nacht", die wegen ihrer starken autobiografischen Bezüge erst nach seinem Tod freigegeben wurde. Am Wiener Burgtheater bringt Regisseurin Andrea Breth nun eine Neuinszenierung heraus - Sven-Eric Bechtolf steht in dieser nach siebenjähriger Pause wieder auf der Burg-Bühne.
"Das innere Gelände ist eine große Landschaft und keine Postkarte." Sven-Eric Bechtolf
Kein Tag ohne Alkohol
Der lange Titel hält, was er verspricht: Es geht tatsächlich um einen einzigen Tag im Leben der Familie Tyrone. Mit jeder Stunde lässt O'Neill klarer erkennen, wie die Figuren in Liebe und Hass miteinander verbunden sind. Das Erzählte kommt der Biografie des Autors sehr nahe: Vater James, einst erfolgreicher Schauspieler, ist jetzt ein verbitterter Grundstückspekulant; wegen seines notorischen Geizes ist seine Frau Mary nach der Geburt des zweiten Sohnes morphinsüchtig geworden. Der ältere Sohn Jamie ist ein trinkenden Zyniker; nur sein Bruder Edmund, O'Neills literarisches Alter Ego, hat sich noch seinen Idealismus bewahrt. Ohne Alkohol kommt jedoch keiner von ihnen durch den Tag.
"In Miniaturform ist dieses Stück eine Gesellschaftsgeschichte", sagt Regisseurin Andrea Breth. "O'Neill war der erste amerikanische Dichter, der solche Stücke überhaupt geschrieben hat. Davor gab es ein völlig anderes Theater. Diese Art von scharfem Realismus und Zerstörerwut wohnt dem Stück inne."
Der Realismus ist bei Breth ausschließlich sprachlicher und psychologischer Natur. Die Bühne, auf der kein Sommerhaus, sondern ein verödeter Strand angedeutet ist, dreht sich langsam und stetig im Halbdunkel; und in einem Kreislauf ständig wiederkehrender Selbstvorwürfe und gegenseitiger Schuldzuweisungen sind auch die Figuren gefangen. Alkohol und Morphin machen die Situation erträglich, aber im Grunde alles nur noch schlimmer; erst recht, als bei Edmund Tuberkulose diagnostiziert wird.
Bechtolf: "Emotionale Angelegenheit"
Schnell war sich Andrea Breth über die Besetzung der Rollen im Klaren: Corinna Kirchhoff spielt Mary Tyrone, die sich nach einem Morphin-Rückfall immer mehr aus der Welt entfernt; Sven-Eric Bechtolf ist als James Tyrone zu erleben, und damit erstmals nach sieben Jahren wieder auf der Bühne des Burgtheaters.
"Für mich ist das Burgtheater sowieso immer eine emotionale Angelegenheit, und zwar, seit ich das erste Mal durch die Bühnentür hineingegangen bin", gesteht der Schauspieler. "Jetzt ist es für mich so, als würde ich mein Elternhaus besuchen, und ich gehe mit ein bisschen Sentiment durch die Gegend."
Mit Andrea Breth gehe man sowieso immer Umwege, so Bechtolf, wenn man sich mit ihr auf die Suche nach dem Kern eines Textes mache. Zu welchem Ziel sie diese Wege geführt haben, wird nun auch für das Publikum erlebbar.