Gedanken für den Tag

"Fremd sein - Anders sein" von Regina Polak

Regina Polak lehrt römisch-katholische Pastoraltheologie an der Universität Wien.

48 Prozent der Österreicher stimmen in der Wertestudie 2008 der Aussage zu: Es ist besser, wenn Zuwanderer ihre Traditionen und Bräuche aufgeben. Integration heißt in Österreich vielfach immer noch Assimilation: Wer hier lebt, soll sich der Mehrheitskultur anpassen und ablegen, was ihn ausmacht: Seine Geschichte, seine Kultur, seine Religion. Ich würde mich da nicht wohlfühlen. Wer hier leben möchte, soll nicht auffallen. Unterschiede werden als Bedrohung erlebt. Nicht erst dann, wenn es um Zuwanderer geht.

Die Politik der verbotenen Unterschiede hat in Österreich lange Tradition. Erinnert sei an die tschechischen Urgroßeltern vieler Wiener. 800 000 Menschen hatten um die Jahrhundertwende Tschechisch als Muttersprache - und waren damals nicht einmal Ausländer. Ihre Muttersprache aber war in Wien unerwünscht. 1945 konnten nur mehr 6000 Menschen tschechisch. Warum also sollte es den Zugewanderten heute anders, vielleicht sogar besser gehen?

In der Integrationsforschung setzt man heute auf Differenzsensibilität: Wahrnehmen und Wertschätzen der kulturellen Differenzen. Das bedeutet keinesfalls, dass Unterschiede gleichgültig sind und damit alles beliebig ist. Aber um sich auf eine Lebensweise zu einigen, die dem Wohlergehen eines Gemeinwesens ebenso verpflichtet ist wie dem Wohlergehen des Einzelnen, müssen die Unterschiede ans Licht kommen dürfen. Wo lernt man das in Österreich?

Die Bibel begründet diese Position theologisch: Weil jeder Mensch Abbild Gottes ist, sind alle Menschen gleich an Würde. Die Genesis spricht von "Gottesstatuen", d.h. jeder Mann, jede Frau repräsentiert Gott selbst im Tempel der Schöpfung. Damit ist die Einzigartigkeit jedes Menschen geschützt - und zugleich damit auch die Verschiedenheit. Jede und jeder repräsentiert auf unverwechselbare Weise Gottes Wirklichkeit. Das hieße aber, Unterschiede nicht nur auszuhalten, sondern sogar zu fördern. Weil nur so die unerschöpflich vielfältige Wirklichkeit Gottes wahrnehmbar werden kann.

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