Radiokolleg - Die Welt ist sein Programm

Gustav Mahler und sein symphonisches Werk (2). Gestaltung: Martin Adel

Nichts, was man in Worte fassen könnte, würde ihn reizen zu komponieren, soll (sinngemäß) Gustav Mahler gesagt haben. Seine Symphonien sind Riesenwerke. Sie stellen die vielleicht letzte mögliche Steigerung einer musikalischen Kompositions-Tradition dar, die sich von Beethoven herleitet: sowohl was die Zahl der Instrumente, Musiker und Stimmen betrifft, als auch die Form. "Non plus ultra" sozusagen: Mahler geht an die Grenzen der Lautstärke (für die Konzertsäle seiner Zeit) und an die Grenzen der Gattung, ehe sie zerbricht. Aber nicht als Selbstzweck! Denn sie stellen den programmatischen Versuch dar, Welterfahrung und Weltgefühl des modernen Individuums - an der Schwelle zum 20. Jahrhundert und in der Zerrissenheit des Fin de Siècle - zu beschreiben, oder vielleicht besser gesagt, als Stimmung zu erfassen.

Noch einmal die Balance und den adäquaten kompositorischen Ausdruck finden in der Spannung zwischen Historismus und Avantgarde, zwischen Melancholie und Ekstase und mit allen zu Gebot stehenden Mitteln: Das muss neu sein, nämlich auf der Höhe seiner eigenen Zeit. Und daher auch die minutiösen Spielanleitungen, die - so gesehen gar nicht paradoxerweise - so wortreich wie nie zuvor und (kaum) danach ausfallen.

Nach Kaiser Franz Joseph soll er das bekannteste Gesicht in Wien gewesen sein; der schmächtig und klein wirkende, aber drahtig sportliche Mann mit nervösen, ja hektischen Bewegungen, ob am Pult der Wiener Staatsoper, im eilenden Schritt auf Wiens Straßen (auch im Gebirge) oder im Sattel seines Fahrrads. Mahler ist ein "Moderner". Aber er ist hineingeboren in die Zeit des Späthistorismus, die Ringstraßen-Ära, und als Jude lebt er in einer Stadt, in der Antisemitismus mehrheitsfähiges parteipolitisches Programm ist.

Er vertont Gedichte der Romantik und altchinesische Texte, aber seine musikalische Sprache, sein kompositorisches Schaffen ist zum überwältigenden Teil symphonisch; der Hofoperndirektor hat nie eine Oper komponiert. Der Workaholic fand nur in seinen ländlichen Urlaubsdomizilen Zeit, um zu komponieren.

Gestaltung: Martin Adel

Service

Buch-Tipps

Theodor W. Adorno: Mahler. Eine musikalische Physiognomik. Suhrkamp Verlag.
Michael Gielen und Paul Fiebig: Mahler im Gespräch. Die zehn Sinfonien. J.B.Metzler Verlag 2002.
Jens Malte Fischer: Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Zsolnay Verlag 2003

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