Gedanken für den Tag

"Fremd sein - Anders sein" von Regina Polak

Regina Polak lehrt römisch-katholische Pastoraltheologie an der Universität Wien.

Immer wieder hören wir im Alten Testament eine Mahnung: "Vergesst es nicht, Ihr seid selbst Fremde gewesen!" Das Volk wird daran erinnert, dass am Beginn der Geschichte Israels Gott Menschen in die Freiheit führt, die als Sklaven in der Fremde Ägyptens ihr Leben fristen - Fremdarbeiter gleichsam. Deshalb genießen die Fremden denn auch im Ersten Bund einen besonderen Rechtsstatus und Schutz. Wir finden im Alten Testament ein Fremdenrecht, das so manche heutige Gesetzgebung in ein peinliches Licht rückt. Denn Assimilation ist in diesem Fremdenrecht kein Thema. Die Fremden dürfen mitfeiern, müssen sich aber nicht bekehren. Und Fremde, die um Asyl ansuchen, genießen heiliges Gastrecht. Als wüsste man, wie gefährdet Menschen sind, die zuwandern.

Blickt man auf die Ergebnisse der Österreichischen Wertestudie 2008, sieht es aus, als hätte man diese Tradition in Österreich vergessen. Oder auch nie wirklich gekannt. Seit 1994 ist der Index für Fremdenfeindlichkeit um 9 Prozent gestiegen. Nahezu alle Aussagen, die Fremdenfeindlichkeit messen, finden Zwei Drittel- Zustimmungen. Das ist doch recht beunruhigend - in einem Land, wo immer wieder laut die christlichen Werte eingemahnt werden und die Mehrheit der Zuwanderer Christen sind. Christliche Werte sind aber ohne die jüdische Tradition und ihren Respekt vor Fremden gar nicht zu verstehen. Dieses untrennbare verwiesen Sein auf die jüdische Tradition gehört zu dem vielen, was hierzulande vergessen wurde. In der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit wurde dies überdeutlich.

Vielleicht hilft Erinnerung. Erinnerung an die christlichen und jüdischen Wurzeln unserer Kultur. Erinnerung an die Erfahrungen von Menschen, die hier leben, und deren Vorfahren einst sogenannte "Fremde" waren. Erinnerungen an die, die aus Österreich vertrieben wurden - oder die unterdrückt waren und sind, weil sie anders leben. Seit ich weiß, warum der Mann, bei dem ich einmal in der Woche Kebab kaufe, nach Österreich gekommen ist und wie es ihm hier geht, nehme ich Ausländer anders wahr: Jeder und jede hat seine eigene unverwechselbare, wertvolle Lebensgeschichte. Rasche Urteile fälle ich seither nicht mehr.

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