Gedanken für den Tag

"Ich bin mir selbst gestohlen" - Zum 250. Geburtstag des Schriftstellers Johann Peter Hebel von Cornelius Hell

Der Literaturkritiker Cornelius Hell spricht über die noch immer gültigen Gedanken des Dichters, Theologen und Pädagogen.

Zu seinen Bewunderern zählten Goethe, Gottfried Keller, Leo N. Tolstoi und auch die Gebrüder Grimm. Am 10. Mai dieses Jahres würde er 250 Jahre alt werden. Johann Peter Hebel gilt als der bedeutendste alemannische Mundartdichter der Vergangenheit, der mit seinen Mundartgedichten und den sogenannten Kalendergeschichten bekannt geworden ist. Der Dichter und Lehrer hatte Theologie studiert, war als Subdiakon und später als Hofdiakon in Karlsruhe tätig und wurde schließlich als Prälat der erste geistliche Leiter der 1821 neu gebildeten Evangelischen Landeskirche in Baden.

"Zwei Brüder im Westphälinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb, und der andere katholisch wurde."

Johann Peter Hebel, der mit diesem Satz eine seiner Geschichten beginnt, weiß um konfessionelle Querelen im 18. und 19. Jahrhundert gut Bescheid. Nicht nur, weil er in Baden in einem gemischtkonfessionellen Gebiet wohnt, sondern weil einst seine Eltern in Basel nicht heiraten durften - der Vater war nämlich reformiert, die Mutter lutherisch. 1821, über 60 Jahre danach, ist Hebel seine größte kirchenpolitische Leistung geglückt: Die Vereinigung der lutherischen und der reformierten Landeskirche von Baden.

Mit den Katholiken freilich hatte er einen der wenigen nachhaltigen Konflikte seines Lebens. Er hatte für den "Rheinischen Hausfreund", den Kalender, für den er verantwortlich war, die Erzählung "Der fromme Rat" geschrieben. Darin kommt ein Achtzehnjähriger, katholisch und fromm, zum ersten Mal in eine große Stadt. Da erblickt er von rechts einen katholischen Priester mit der Eucharistie und will sich niederknien, sieht aber plötzlich auch von links einen Priester mit der Eucharistie auf sich zukommen; da ist der Junge verwirrt. Und Hebel erzählt:

"Als er aber den einen Pater mit Bekümmernis anschaute und ihn gleichsam mit den Augen fragte und bat, was er tun sollte, lächelte der Pater wie ein Engel freundlich die fromme Seele an und hob die Hand und den Zeigefinger gegen den hohen und sonnenreichen Himmel hinauf. Nämlich vor dem dort oben soll er niederknien und ihn anbeten."

Von dieser Geschichte fühlten sich im Jahr 1814 katholische Funktionäre so provoziert, dass der Kalender nicht verkauft werden durfte und Hebel die Redaktion niederlegte. Bleibt nur noch zu erzählen, wie Hebel die Geschichte von den zwei Brüdern enden lässt: Sie bekehrten sich gegenseitig - der Protestant wird Katholik und der Katholik wird Protestant, und die Konflikte sind schlimmer als vorher. Hebel hat da eine einfache Maxime: "Du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren."

Service

Johann Peter Hebel, "Die Kalendergeschichten". Sämtliche Erzählungen aus dem Rheinländischen Hausfreund. Herausgeber: Hannelore Schlaffer und Harald Zils, dtv Taschenbücher, Bd. 13861, Dünndruck, München 2010

Johann Peter Hebel, "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes", herausgegeben von Werner Weber, Manesse Bibliothek der Weltliteratur

Heide Helwig, "Johann Peter Hebel. Biographie", Carl Hanser Verlag, München 2010

Bernhard Viel, "Johann Peter Hebel oder Das Glück der Vergänglichkeit. Eine Biographie", Verlag C. H. Beck, München 2010

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