Gedanken für den Tag

"Zum 400. Todestag des Malers Caravaggio" von Johanna Schwanberg

Johanna Schwanberg ist Kunstkritikerin und Universitätsassistentin für Kunstwissenschaft und Ästhetik in Wien und Linz.

Er gilt als "Rockstar der Kunstgeschichte" - als verruchter, kompromissloser Künstler par excellence. Genial, zügellos, gewalttätig. Zugleich war seine unkonventionelle, sinnliche Malerei mit ihren dramatischen Licht- und Schatteneffekten lange in Vergessenheit geraten. Wie kaum ein zweiter ist der barocke Meister der Lichteffekte seit seinem Tod am 18. Juli 1610 von zahlreichen Mythen umgeben. Die "Gedanken für den Tag" gehen dem Menschen und Künstler anhand ausgewählter Bildbesprechungen unterschiedlicher Sujets (religiöse Motive, Stillleben, weltliche Porträts) auf die Spur und beleuchten das Faszinosum Caravaggio auf vielgestaltige Weise.
Gestaltung: Alexandra Mantler

Ein junger Mann mit sinnlich-geöffneten Lippen und lockig-braunen Haaren. Gekleidet in ein weißes Hemd. In der Hand hält der Junge eine Laute. Neben ihm ein bunter Blumenstrauß. Am Tisch vor ihm liegen eine Geige und Noten. Das aufgeschlagene Notenbuch zeigt die Tenorstimme, der "Basso" liegt verschlossen darunter. Es scheint also eine indirekte Aufforderung an einen zweiten, nicht dargestellten Sänger zu geben, gemeinsam zu musizieren.

Die Noten zitieren ein Madrigal. Der dazugehörige Text lautet: "Ihr wisst, das ich euch liebe, ja anbete / aber nicht wisst ihr, dass ich für euch sterbe." Mit dem legendären "Lautenspieler", von dem es mehrere Fassungen rund um das Jahr 1595 gibt, hat Caravaggio eine Inkunabel des barocken halbfigurigen Musikantenbildes geschaffen.

Feminine Jünglinge wie der "Lautenspieler" haben zu der Legendenbildung rund um die angebliche Homosexualität des Malers beigetragen. Alles Projektionen des 20. Jahrhunderts, so die heutige Meinung nicht weniger Caravaggio-Spezialisten. Was mich an diesem Bild mehr interessiert als die Frage, welchen sexuellen Neigungen der Künstler nachgegangen ist, ist die Körperlichkeit und die Beseeltheit der Menschen und Gegenstände in seiner Malerei. Caravaggios größte Innovationen waren das schräg einfallende streuungsfreie Licht und das extreme Heranzoomen der Motive. Diese spottartige Beleuchtung vermittelt den Eindruck ungemeiner Plastizität. Zugleich begeistert mich in Zeiten, wo jeder gehetzt von einem Ort zum anderen eilt und dauernd von Stress die Rede ist - die Entspanntheit der Figuren dieser frühen Caravaggio-Bilder. Nicht zufällig wird der "Lautenspieler" gerne als Allegorie der Harmonie gedeutet.

Auch wenn die Malerei an sich ein stummes Medium ist, gelingt es Caravaggio mit diesem Gemälde alle Sinne anzusprechen. Farbensehen, Blumenriechen, Musikhören - all das gehört untrennbar zusammen, scheint dieses Bild zu sagen. Mit ein Grund, warum auch heute noch Museums- und Kirchenbesucher überall auf der Welt gebannt vor den Werken des Barockmalers stehen.

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