Gedanken für den Tag

"Migration und Religion" von Michael Bünker, evangelisch-lutherischer Bischof

"Geh aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will" (1 Mose 12, 1).

Wenn Menschen ihre Heimat verlassen haben, welche Bedeutung hat dann Religion für sie in der neuen Heimat? Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker spricht in den "Gedanken für den Tag" über den Glauben, der mitgeht und trägt, auch und gerade wenn sich Menschen mit den Herausforderungen und Veränderungen, die der Aufbruch in eine neue Heimat mit sich bringt, konfrontiert sehen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Mounira Daouds Geschichte beginnt so: Ich bin als junges Mädchen aus Kairo nach Deutschland gekommen, ohne Eltern, ohne Geschwister, ohne Deutschkenntnisse. Zuhause bin ich religiös erzogen worden, im Geist von Toleranz und Freiheit. Ich bin mit koptischen und jüdischen Kindern in der Nachbarschaft und in der Verwandtschaft aufgewachsen. Der Verlust aller vertrauten Beziehungen war dramatisch. Mir ist in meiner Muttersprache nur das Gebet geblieben. Die Religion wurde Mounira Daoud zu einer starken Kraft, ihren eigenen Weg in der neuen Umgebung zu finden. Sie war - so sagt sie sehr schön - wie "eine schwimmende Insel in einem Meer der Fremdheit".

Heute ist Mounira Daoud Expertin für interkulturelle Pädagogik und berät Schulen - Eltern, Lehrende, Schülerinnen und Schüler - im Umgang miteinander, vor allem mit dem Islam. Also genau dort, wo viele Menschen die meisten Probleme wahrnehmen.

Mounira Daoud hat selbst erfahren, dass Migration immer einen Bruch im Leben eines Menschen darstellt. Die Veränderung erfasst alle Bereiche, die Sprache, die Kultur, die Freunde und die Familie, das Essen, die Kleidung und sogar das Wetter. Und die Religion. In einer solchen Lage braucht es Übergangsräume, in denen die Menschen in die neue Situation hineinwachsen können. Religiöse Gemeinschaften können zu solchen Übergangsräumen werden. Nicht nur die islamischen Gemeinschaften sind gemeint, auch viele jüdische Gemeinden sind ja von Migration geprägt und in allen europäischen Großstädten gibt es mittlerweile hunderte von christlichen - katholischen, orthodoxen, pfingstlerischen und evangelischen - Migrationsgemeinden. Gerade die Religion eignet sich als Übergangsraum, denn das Wetter kann niemand mitnehmen, die Sprache muss neu gelernt werden, die Kleidung ändert sich, die sozialen Beziehungen wandeln sich. Diese Erfahrungen hat Mounira Daoud gemacht. Aber die Religion hat ihr Halt gegeben. Dazu fällt mir das Buch von Jonathan Rosen ein, "Talmud und Internet", dort bezeichnet er die Religion als die "tragbare Heimat".

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