Da capo: Im Gespräch

"Ein Narr ruft in den Himmel: Wenn es dein Herz nicht rührt, was hier unten passiert, dann nimm doch das meine". Michael Kerbler und Alexandra Föderl-Schmid ("Der Standard") im Gespräch mit Navid Kermani, Schriftsteller und Orientalist

"Ein Narr ruft in den Himmel: Wenn es dein Herz nicht rührt, was hier unten passiert, dann nimm doch das meine". Dieser Ausspruch wird Fariduddin Attar, einem islamischen Mystiker und Poeten, der im 13. Jahrhundert in Persien lebte, zugeschrieben. Es mag erstaunen, dass es auch im Islam eine Kritik der Gläubigen an einem ungerechten oder hartherzigen Gott gibt, so wie wir dies aus der jüdisch-christlichen Tradition der "Theodizee"-Frage kennen, also der Frage, wie ein allmächtiger und gütiger Gott die Existenz des Leids, Übels und des Bösen zulassen kann.

Dass Navid Kermani, habilitierter Orientalist und freier Schriftsteller, die Person Attars zu einer Romanfigur formte, führt geradewegs zur Grundhaltung des Autors, nämlich den Dialog zwischen den Kulturen zu fördern und Wissen an die Stelle von Nicht-Wissen bzw. Nicht-Wissen-Wollen zu setzen. Meinungen über den muslimischen Glauben sind in Europa - auch hierzulande - sehr viel weiter verbreitet als das Wissen über Hintergründe und religiöse Praktiken. Urteile ohne Wissensbasis führen fast immer zu Vorurteilen und bestimmen oft die Einstellungen zum Islam: er sei rückständig, frauenfeindlich, extremistisch und gegen Kritik immun. Offen geäußert werden solche Fehleinschätzungen, die nicht zwischen islamischen Fundamentalismus und dem Islam an sich unterscheiden, selten.

Gleichzeitig wird eine zweite Debatte geführt, in die die Haltung zum Islam entscheidend hineinspielt: die Debatte darüber, was in Europa die eigene Kultur ausmacht. Am deutlichsten zeigen sich die Frontlinien am Umgang mit den Muslimen. Einerseits existiert ein Europa, das sich durch seine christlichen Wurzeln definiert, also durch die Abgrenzung vom Islam. Andererseits besteht die nicht zu leugnende Realität, dass etwa 16 Millionen Muslime bereits in den Staaten EU-Europas leben. Mindestens 32 Millionen Muslime leben in den anderen Ländern Europas. Wie immer die Antwort auf die Frage "In welchem Europa wollen wir leben?" ausfällt: sie hat angesichts der demografischen Entwicklung und der weltpolitischen Lage gravierende Auswirkungen auf unsere Zukunft.

Wie diese Zukunft gestaltet werden muss, damit sie nicht in Konfrontation mündet, darüber sprachen Michael Kerbler und STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid mit Navid Kermani auf Einladung der Universität Salzburg in einer weiteren Folge von "Zeitgenossen im Gespräch" ("Salzburger Vorlesungen" vom 20. September, 19:00 Uhr, Hörsaal 230, Kapitelgasse 4).

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Buch-Tipps
Navid Kermani, "Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime", C.H. Beck Verlag
(ISBN-10: 3406577598 bzw. ISBN-13: 978-3406577598)

Navid Kermani, "Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte", Deutscher Taschenbuch Verlag
(ISBN-10: 3423344873 bzw. ISBN-13: 978-3423344876)

Navid Kermani, Angelika Overath und Robert Schindel, "Toleranz: Drei Lesarten zu Lessings "Märchen vom Ring", Wallstein Verlag
(ISBN-10: 3892446881 bzw. ISBN-13: 978-3892446880)

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, "Die demographische Zukunft Europas - wie sich die Regionen verändern", Sachbuch, dtv - Deutscher Taschenenbuch Verlag (ISBN: 978342334095)

Bruce Bawer, "Surrender: Appeasing Islam, Sacrificing Freedom", Verlag Anchor Books bei Random House
(ISBN-10: 0767928377 bzw. ISBN-13: 978-0767928373)

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