Gedanken für den Tag

"Ars Moriendi - Ars Vivendi - Die Kunst des Sterbens und die Kunst des Lebens" von Anita Natmeßnig

Wer sich der eigenen Endlichkeit stellt, verliert Angst und gewinnt Lebensfreude. Das macht die evangelische Theologin und Psychotherapeutin Anita Natmeßnig deutlich, auch in ihrem neuen Buch "Zeit zu sterben - Zeit zu leben. Erfahrungen im Hospiz" (Styria 2010). Das berührende und Mut machende Ergebnis: Die Ars Moriendi ist ohne Ars Vivendi nicht zu denken. Die Kunst zu sterben und zu leben.

Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Nach meinem Kinodokumentarfilm "Zeit zu gehen" wurde ich oft gefragt, was ich aus meiner Begegnung mit unheilbar kranken Menschen im CS Hospiz Rennweg gelernt habe. Die Antwort lautet: Vieles. Ich habe gelernt, mir mutig meine Wünsche zu erfüllen. Egal, ob es sich um den Wunsch nach so etwas scheinbar Banalem wie einem Fallschirmabsprung handelt oder nach der Berufsausbildung zur Psychotherapeutin oder dem Schreiben eines Buchs. Worum es geht, ist, die eigenen Wünsche ernst zu nehmen und nicht zu vertagen - auf die Pension oder den Sanktnimmerleinstag. Im Hospiz wird wie nirgendwo sonst die Endlichkeit unseres Lebens dermaßen deutlich. Zeit als begrenztes Geschenk. Etwas Kostbares, das es zu nützen gilt. Mein Motto seit damals: Zeit zu leben - jetzt. Und das versuche ich in meinem Alltag umzusetzen. Privat ebenso wie als Psychotherapeutin oder als Autorin in meinem neuen Buch. Anders als während meiner Drehzeit im Hospiz habe ich jetzt zwar nicht mehr täglich den nahen Tod vor Augen, aber ich habe mir die Botschaft der sterbenden Menschen gemerkt. Das was gilt, sind nicht Erfolg, Prestige oder Geld, sondern die so genannten kleinen Dinge. Dem Regen zuhören, mich am bunten Herbstlaub freuen, in Beziehung sein mit den Menschen, die mir wichtig sind - und jeden Tag leben als wäre er der letzte. Das gelingt mir zwar nicht täglich, aber ich kann und will nicht vergessen, wie sehr mich die Begegnungen mit unheilbar kranken Menschen berührt haben. Zum Beispiel die Trauer eines 53-Jährigen, vieles versäumt zu haben. Unwiderruflich. Er konnte leider nicht zurückblicken und sagen: Mein Leben war erfüllt. Ihm und den anderen mittlerweile verstorbenen Menschen bin ich unendlich dankbar, dass sie mich gelehrt haben, mehr in der Gegenwart anzukommen. Zeit zu leben - jetzt.

Service

Wenn Sie diese Sendereihe kostenfrei als Podcast abonnieren möchten, kopieren Sie diesen Link (XML) in Ihren Podcatcher. Für iTunes verwenden Sie bitte diesen Link (iTunes).

Anita Natmeßnig, "Zeit zu sterben - Zeit zu leben. Erfahrungen im Hospiz", Styria 2010

Sendereihe