Gedanken für den Tag

"Adventfiguren" von Peter Pawlowsky

Heilige Feste. - Einmal muss das Fest ja kommen, hat Ingeborg Bachmann geschrieben. Und in dieser Woche kommen einige Feste auf mehr oder weniger gläubige Menschen zu: Heiligenfeste des Advent wie das des Nikolaus von Myra, das jüdische Chanukkafest und das muslimische Neujahrsfest. Gedanken dazu hören Sie von Peter Pawlowsky, Anita Pollak und Gülmihri Aytac.

Peter Pawlowsky ist Journalist in Wien.

Was haben sie Menschen von heute zu sagen, die biblischen oder urchristlichen Figuren wie Nikolaus von Myra, Maria von Nazareth und Johannes der Täufer? Peter Pawlowsky haben diese "Adventheiligen" zu manch ungewöhnlichem Gedanken inspiriert: Über Sinn und Unsinn von Riten, das Beispiel einer Frau, deren Leben genauso mühsam war wie viele Frauen UND Männer vielleicht gerade jetzt ihr eigenes Leben empfinden - und das entlastende Moment der Vorläufigkeit. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Nikolaus, der liebenswürdige Bischof aus dem kleinasiatischen Myra, wird heute oft mit dem weißbärtigen Weihnachtsmann verwechselt, der angeblich aus dem kalten Norden kommt. Aber ich kann bezeugen, dass der Nikolo ein ganz anderer ist, denn ich war selbst ein solcher. Meine Kinder waren damals noch nicht in der Schule, aber geschickt genug, um ein Bischofsgewand und eine Bischofsmütze herzustellen. Ein großes weißes Leintuch wurde zusammengeheftet und aus buntem Karton lässt sich leicht eine würdige Kopfbedeckung machen.
 
Vor den Augen der Kinder nahm ich die Utensilien ins Nebenzimmer und kleidete mich an. Sie wussten, dass Gewand und Kopfbedeckung für mich bestimmt waren. Also meinte ich, sie würden zwar mitspielen, aber mich nicht ernster nehmen als gewöhnlich. Ich öffnete die Tür und trat ein. Sie erwarteten mich wie einen Fremden, wie einen Gast aus einer anderen Welt. Das war kein Theater mehr mit einstudierten Rollen. Das war leibhaftige Gegenwart. Ich war kein Schauspieler, ich war der Nikolo, er selbst. Was ich zu ihnen sagte, was ich über ihre Arten und Unarten wusste, kam nicht aus dem Gedächtnis ihres Vaters, sondern entstammte dem geheimnisvollen Wissen des Heiligen, der alles über alle Kinder weiß, weil er alle Kinder liebt.
 
Seither sehe ich Riten mit anderen Augen. Denn ich hatte mit Verkleidung und Zuspruch eine Rolle in einem traditionellen Ritus übernommen und war selbst überrascht von seiner Wirkung. Jeder Tag ist voll von Riten, Gruß und Abschied verlangen Formen, die Politik verfährt nach rituellen Regeln, jede Religion vergegenwärtigt ihren Ursprung in Riten. Ja, Riten können erstarren und unglaubwürdig werden. Es kostet einige Kreativität, sie lebendig zu halten, und sei es mit Leintuch und Karton. Aber sie einfach aufzugeben, wäre kein guter Rat.

Service

Wenn Sie diese Sendereihe kostenfrei als Podcast abonnieren möchten, kopieren Sie diesen Link (XML) in Ihren Podcatcher. Für iTunes verwenden Sie bitte diesen Link (iTunes).

Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 101206 Gedanken für den Tag / Peter Pawlowsky
Länge: 02:40 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

weiteren Inhalt einblenden