Radiokolleg - Jugoslawien: Traum und Trauma

Geburt und Untergang einer Utopie (1). Gestaltung: Tanja Malle

Vorname: Jugoslawien. Beiname: Sozialistische Föderative Republik. Geboren: 1943. Gestorben: 1991. Heute: Traum und Trauma von Generationen. So könnte die Kurzfassung von jenem Eintrag lauten, der sich unter dem Kürzel "SFRJ" finden würde, hätte Clio, die Muse der Geschichtsschreibung, ein Stichwortverzeichnis zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts angelegt.

Der Zweite Weltkrieg beginnt in Jugoslawien vor 70 Jahren - am 6. April 1941 mit dem Einmarsch Deutscher Truppen. Schnell formiert sich der bewaffnete, militärisch organisierte Partisanen-Widerstand. Bereits am 29. November 1943 legen der spätere Präsident Jugoslawiens, Josip Broz (besser bekannt als Tito), und die mehr als 140 anderen Delegierten aus allen Regionen Jugoslawiens - mitten im Zweiten Weltkrieg, im einem okkupierten Land als Widerständische verfolgt - mit den sogenannten AVNOJ-Beschlüssen das Fundament für die spätere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, kurz SFRJ.

Blutrot ist nicht nur der Anfang, sondern auch das Ende der SFRJ. Zwischen 1991 und 1999 fordern die jugoslawischen Zerfallskriege Zehntausende Tote. Noch heute befinden sich die meisten Nachfolgestaaten in der Transition, versuchen, funktionierende Demokratien zu werden - doch Korruption, organisierte Kriminalität und die politische Instrumentalisierung des ethnischen Nationalismus machen ihnen zu schaffen. Kein Wunder, dass große Teile der Bevölkerung laut Umfragen heute wieder vom "guten alten Jugoslawien" träumen. Von einem Land, in dem es - zumindest zeitweise - für fast alle Arbeit und Reisefreiheit gab, und in dem für Arme, Kranke und Senioren vergleichsweise gut gesorgt wurde; von einem Land, das im Kalten Krieg, der die Welt in West und Ost aufteilte, den blockfreien Status wählte - den sogenannten "Dritten Weg".

Arbeitermitbestimmung und genossenschaftlicher Sozialismus markierten diesen Weg zwischen real existierendem Staatssozialismus sowjetischer Prägung und einem nach demokratischen und kapitalistischen Prinzipien gestalteten Staat westlicher Art. Dessen wohl größte Schattenseite war eine Insel: das Gefangenenlager auf Goli Otok (die "nackte Insel") gilt als das Sinnbild für die Unterdrückung und Misshandlung Andersdenkender - sei es jener, die eine Demokratie nach westlichem Vorbild forderten oder jener, die Anhänger Stalins waren.

Das Radiokolleg erkundet in der ersten April-Woche die Geschichte des einstigen südslawischen Vielvölkerstaates.

Service

Ulf Brunnbauer (Hg.): (Re)Writing History. Historiography in Southeast Europe after Socialism. Münster u.a.: LIT Verlag, 2004

Ulf Brunnbauer (Hg.): Umstrittene Identitäten. Ethnizität und Nationalität in Südosteuropa. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 2002

Detlef Brandes, Holm Sundhaussen und Stefan Troebst (Hg.): Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Wien u.a.: Böhlau 2010

Marie Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, München: Beck 2010.
Monika Flacke (Hg.): Mythen der Nationen. Arena der Erinnerungen. Philip von Zabern Verlag, 2004

Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas Böhlau, Wien u.a., 2004

Dunja Melcic (Hg.): Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. Westdeutscher Verlag, Opladen 1999

Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19. bis 21. Jahrhundert. Wien u.a.: Böhlau 2007

Holm Sundhaussen: Experiment Jugoslawien. Von der Staatsgründung bis zum Staatszerfall 1918-1991. Mannheim (a.a.) 1993

Holm Sundhaussen: Geschichte Jugoslawiens 1918-1980. Stuttgart: Kohlhammer 1982

Repe, Bozo: "Liberalizem" v Sloveniji, (Borec, 44, 9-10). Ljubljana: RO ZZB NOV Slovenije, 1992. Str. 673-949

Repe, Bozo: Slovenci v osemdesetih letih, (Zbirka Zgodovinskega casopisa, 23). Ljubljana: Zveza zgodovinskih drustev Slovenije, 2001. ISBN 961-90803-4-3

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