Salzburger Nachtstudio

Medizin und Ethik - ein Widerspruch? Gestaltung: Elisabeth Nöstlinger

Medizin und Ethik, das ist eine Kombination, die derzeit einem ständigen Wandel unterworfen zu sein scheint. Einstmals verbindliche Werte gelten längst nicht mehr, Prometheus ist entfesselt. "Dieser entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft ihren rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden." Dieses Zitat stammt aus dem Buch "Das Prinzip Verantwortung" des Philosophen Hans Jonas, welches 1979 erschienen ist.

Heute wissen wir, dass die Stammzellenforschung in Zukunft die Selbstgeneration des Menschen durch eigenes oder fremdes Zellmaterial erlaubt. Die Industrie investiert Milliarden in diese Forschung und Entwicklung. Das Schreckensgebilde des Homunculus scheint sich ebenso zu realisieren wie der Mythos des ewigen Jungbrunnens.

"Medizin und Ethik", das ist auch eine Veranstaltungsreihe des Europäischen Forums Alpbach in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Ärztekammer. In seinem Eröffnungsreferat plädierte der Berliner Soziologe und Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Gerd Gigerenzer, dafür, dass Menschen - insbesondere Medizinern - neben Lesen und Schreiben auch statistisches Denken beigebracht werde.

So haben in Großbritannien irreführende - relevant hohe - Prozentzahlen in Fachzeitschriften zu einem Ansteigen der Abtreibungen geführt, weil eine solche Meldung bewirkt habe, die negativen Nebenwirkungen der Anti-Baby-Pille drastisch zu überschätzen. Auch die Erfolge von Brust- oder Prostatakrebs-Früherkennung durch Screenings stellt Gert Gigerenzer massiv in Frage. Sie stünden in keinem Verhältnis zum finanziellen Aufwand. Und einer Umfrage der OEKONSULT zufolge glauben etwa 37 % der Österreicher/innen, dass die Gesundheitsversorgung in den nächsten Jahren weniger und etwas schlechter wird.

Gleichzeitig schreitet die Forschung voran. Implantate ermöglichen Gehörverbesserungen. Transplantationen retten vor dem Tod, bringen mitunter aber auch den Organhandel in Schwung. Immer ist Lebensverlängerung das Ziel. Koste es, was es wolle. Heute schon explodieren die Pflegekosten für chronisch Kranke und alte Menschen. Ob Österreich sich die Versorgung in gewohntem Ausmaß weiterhin wird leisten können, steht bereits zur Diskussion. Und die Pflegefälle werden mehr.

"Was der Mensch heute tun kann", setzt Hans Jonas in seinem Buch fort, "und dann in der unwiderstehlichen Ausübung dieses Könnens weiterhin zu tun gezwungen ist, das hat nicht seinesgleichen in der vergangenen Erfahrung." Hinkt also auch die Ethik der Medizin hinterher?

Service

Michael Musalek, Martin Poltrum (Hg.) Zu einer neuen Ästhetik in der Medizin, Ars Medica. Pabst Science Publishers Padrodos.
Thomas Metzinger: Eine neue Philosophie des Selbst. Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik. Der Ego Tunnel.

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