Gedanken für den Tag

von Barbara Kovar. "Irrgärten, Leuchtschriften"

Barbara Kovar ist Studentin und Ö1 Hörerin.

Die Wiener Studentin Barbara Kovar sieht im modernen Leben in der Großstadt mit ihren Leuchtreklamen und Möglichkeiten ein Sinnbild für ihre eigene Lebensphase: die Jugend. Geprägt ist diese Lebensphase für sie vom Bedürfnis, auch in diesem Alter schon Spuren zu hinterlassen, die eigene Erfahrungswelt auszuloten, der Suche nach Sinn, die manchmal auch im Unsinn gipfelt. Jung zu sein, kann auch bedeuten, dass das eigene Leben noch nicht in fixen Bahnen verläuft, dass man Entscheidungen treffen muss zwischen oft sehr unterschiedlichen Lebenskonzepten. Diese Phase, in der noch so viele Möglichkeiten offen zu stehen scheinen, mag vielen Erwachsenen beneidenswert erscheinen.

Von vielen jungen Menschen wird sie aber auch als Belastung empfunden: Welches Lebenskonzept passt zu mir? Wie nütze ich die Chancen und Möglichkeiten, die sich mir bieten, am besten? Richtungsweisende Entscheidungen, die oft Bedeutung für das ganze weitere Leben haben, wollen getroffen werden. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Atempausen, nach Entlastung und Muße - und sei es nur einmal ein paar Stunden in einem Flugzeug zu sitzen, abgeschnitten von Handy und Laptop. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Mit dem ersten Augenaufschlag fängt eine erste Unruhe an, denn es ist Mitte der Woche und das heißt, alles drängt auf deren Ende hin. Schon wieder. Die Sekunden, Tage, Wochen und Jahreszeiten wiederholt, und was ist passiert? Was habe ich gesagt, gewollt und getan, und worin liegt der Fortschritt, im Sinne eines dem Alltag entwischendem Ich? Das Schlimmste ist die Wiederholung. Ich will heute nicht wählen zwischen Kaffee oder Tee, zwischen Studium und Alternativen, zwischen weltberühmt und arbeitslos, zwischen Mir und einem anderen Ich. Heute kein Verpassen der Straßenbahn, kein Fluchen deshalb, kein Schlängeln vor der Kasse im Supermarkt, gratis Plastiksack dazu? Nein, Danke, und die Rechnung - heute nicht. Die Schnellbahn rast vorbei, und ich denke mich in einen Zug, nur um unterwegs zu sein. Wie schön es hier ist; zwischen den Orten, überall und nirgendwo. Ein sicherer Raum zwischen hier und dort, zwischen dem, was ist und dem, was möglich wäre, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die vorbeiziehende Landschaft schreit nichts anderes als: Gegenwart. Es gibt nichts zu entscheiden zwischen A und B, kein Grübeln, ob C vielleicht besser wäre; die Leerstelle zwischen Hier und Da; ich atme nur. Wie es bei Rilke heißt, ist hier nichts, das gegen mich wäre: Kein Gestern, kein Morgen; denn die Zeit ist eingestürzt und wir blühen aus ihren Trümmern.

"Die eigentlichen Epochen im Leben sind jene kurzen Zeiten des Stillstandes, mitten inne zwischen dem Aufsteigen und Absteigen eines regierenden Gedankens oder Gefühls. Hier ist wieder einmal Sattheit da: Alles andere ist Durst und Hunger - oder Überdruss", schreibt Friedrich Nietzsche.

Sehe ich also aus dem Fenster und höre Schnellbahngeräusche, wie schön das wäre, in einem Zugabteil, denn was morgen käme, käme erst dann.

Service

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 110525 Gedanken für den Tag / Barbara Kovar
Länge: 02:42 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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