Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg. "Von Venus, Maria und Lucretia" - Frauenbilder in Kunst und Leben

Die Frau als verführerische Venus oder als entrückte Himmelskönigin? Der jahrhundertalte "männliche Blick" auf die Frau spiegelt sich auch in der Kunst.

Die Kunstkritikerin Johanna Schwanberg setzt sich in den "Gedanken für den Tag" - ausgehend von einem "Maria Himmelfahrt-Gemälde" - mit der Frage auseinander, wie Frauen gesehen werden und wie sie sich selbst sehen. Dabei zeigt Schwanberg anhand von Meisterwerken verschiedener Künstlerinnen und Künstler im Lauf der Jahrhunderte auf, dass die Darstellung von Frauen zu den spannendsten Themen der Kulturgeschichte gehört. Denn seit den frühesten bekannten Frauendarstellungen, wie der Venus von Willendorf, spiegeln die Kunstwerke immer die gesellschaftspolitische Struktur und die Rollenbilder einer Zeit.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Eine nackte junge Frau mit weißer Haut und aufgestecktem rotblonden Haar sitzt am Rande eines Wasserbeckens. Ein Bein steht im Wasser, das andere umfasst sie mit ihren Armen. Ganz auf sich selbst konzentriert schaut sie in einen Spiegel. Vor ihr liegen Gegenstände zur Körperpflege. Ein Kamm, eine Salbendose und Schmuck. Umgeben ist sie von einem herrlichen Garten. Die Aktdarstellung einer schönen, sich pflegenden Frau in der Natur also. Nicht ungewöhnlich. Die Kunstgeschichte ist voller Bilder nackter Frauen - sei es Venus, Diana oder Danae. Besonders Venus, die römische Göttin der Liebe, wurde in der Renaissance zur Vorlage für die Darstellung eines sinnlichen weiblichen Aktes schlechthin.

Dennoch hat mich das soeben beschriebene Bild bereits bei Besuchen im Kunsthistorischen Museum in Wien irritiert, als ich noch keine Ahnung von Kunstgeschichte und Geschlechterforschung hatte. Denn ich habe bisher verschwiegen, dass außer der Frau, deren Darstellung von Venus-Bildern inspiriert wurde, noch zwei weitere Figuren zu sehen sind. Nämlich zwei alte bekleidete Männer. Sie haben sich im Garten versteckt, um die Schöne heimlich zu beobachten. Der Kontrast zwischen der jungen nackten Frau und den weißbärtigen, glatzköpfigen Voyeuren könnte extremer nicht sein. Tintoretto hat hier im Jahr 1555 die biblische Geschichte von der tugendhaften Susanna und den zwei alten Richtern gemalt, die Susanna zum Ehebruch zwingen wollen. Susanna bleibt standhaft, obwohl sie weiß, dass ihr wegen der Verleumdung durch die Alten der Tod droht. Ich mag diese Geschichte, weil sie eine der wenigen ist, die für die Frau gut ausgehen. Letztendlich werden anstelle von Susanna doch die Alten zu Tode gesteinigt.

Vor allem aber interessiert mich Tintorettos Bild. Weil es malerisch unglaublich sinnlich ist. Und weil es hier um Sehen und gesehen Werden geht. An "Susanna und die Alten" wird auf subtile Weise sichtbar, dass Frauenbilder immer in engem Zusammenhang mit der Macht des Blickes stehen. Und der Blick war im Laufe der Geschichte fast immer ein männlicher.

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Titel: GFT 110817 Gedanken für den Tag / Johanna Schwanberg
Länge: 03:48 min

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