Gedanken für den Tag

von August Schmölzer und Rudolf Egger. "Herzensbildung oder Die Kunst, sich im anderen wiederzuerkennen"

Gerade in Zeiten schrumpfender Wohlfahrt immunisieren sich weite Kreise unserer Gesellschaft immer stärker gegen die Folgen ihres Handelns. Individuell wird mit Zähnen und Klauen der nach wie vor ausschweifende konsumistische Lebensstil verteidigt. Wenn wir aber nach den Kosten dafür gefragt werden, geht uns das plötzlich alles nichts mehr an, sind wir ahnungslos oder über "die Politik" verärgert. So treibt die Gesellschaft weiter auseinander, denn das Gesellschaftliche kann ohne Formen des Gemeinsamen, des Engagements, nicht existieren.

Der Erziehungswissenschafter Rudolf Egger und der bekannte Schauspieler August Schmölzer denken darüber nach, wie Formen der Herzensbildung heute Möglichkeiten für ein Umdenken und Umlernen im Alltag schaffen können, um sich im anderen wiederzuerkennen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Warum gibt es Menschen, die anderen Menschen, die sie nicht persönlich kennen, etwas Gutes tun? Warum spenden sie für Notleidende in tausenden Kilometern entfernten Regionen der Welt? Weil sie gerne als gut erscheinen wollen oder es vielleicht sogar sind? Weil sie etwas von ihrem Wohlstand abgeben wollen? Weil sie ein schlechtes Gewissen haben? Wie recht hat da doch in meinen Augen der streitbare Schweizer Kämpfer für eine gerechtere Welt, Jean Ziegler, wenn er sagt:

"Ich bin ein völlig unmoralischer Mensch. Ein schlechtes Gewissen ist eine jämmerliche Sache. Man braucht ein klares Bewusstsein". Und dann legt er mit Fakten nach, dass z. B. alle sechs Sekunden ein Kind verhungert und täglich rund 100 000 Menschen an Hunger sterben oder seinen unmittelbaren Folgen. Ist das aber eine Sprache, die wir verstehen? Wie kommen diese Zahlen in unsere eigene Geschichte hinein, wann berühren sie uns?

Die Zahlen sind nicht wegzudiskutieren, sind aber auch eine gute Möglichkeit, sich dem Problem zu entziehen. Wenn man Leid in der unmittelbaren Umgebung, in der Familie, beim eigenen Kind wahrnimmt, ist die Reaktion darauf direkt und ungeheuer. Rückt das Leid in die Ferne, geht es meist nur mehr um Sentimentalität und abstraktes Mitleid. Das braucht niemand. Vielmehr geht es um die Anerkennung der Zusammenhänge, in denen Leid entsteht, um das Hinsehen und Wahrnehmen der Ungerechtigkeiten und um die Frage: Was bin ich hier bereit zu ertragen und in welcher Weise kann ich helfen? Das schafft ein klares Bewusstsein für "den Stand der Dinge". Der Mut, den ein solches Vorgehen verlangt, kann mit Fug und Recht als Herzensbildung bezeichnet werden.

Service

Gustl58

Wenn Sie diese Sendereihe kostenfrei als Podcast abonnieren möchten, kopieren Sie diesen Link (XML) in Ihren Podcatcher. Für iTunes verwenden Sie bitte diesen Link (iTunes).

Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110916 Gedanken für den Tag / Rudolf Egger und August Schmölzer
Länge: 03:49 min

weiteren Inhalt einblenden