Gedanken für den Tag

von Konrad Holzer. "Entfremdung oder Annäherung" - Sehnsucht und Mystik in der Literatur

Der deutsche Dichter Martin Walser sprach anlässlich der Präsentation seines neuesten Romans "Muttersohn" darüber, dass Religion und Literatur in den Anfängen eins gewesen seien, sich dann entfremdet hätten, er mit seinem Roman aber hoffe, die beiden wenigstens ein paar Millimeter einander wieder näher zu bringen. Der Publizist Konrad Holzer, Literaturliebhaber und -Experte, geht der Frage nach, wie's die zeitgenössische Dichtung denn überhaupt so mit der Religion hält. Es fällt nämlich auf, dass sich - nach langer Enthaltsamkeit - Autorinnen und Autoren wieder mehr und mehr mit Religiösem auseinandersetzen und zwar auch solche, die sich selbst als areligiös bezeichnen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Martin Walser hat davon gesprochen, dass Religion und Literatur am Anfang eins gewesen seien und dass er hoffe, mit seinem Buch "Muttersohn" Literatur und Religion einander wieder ein paar Millimeter näher zu bringen. Ein Buch, von dem ich nicht erwartet habe, dass so etwas in deutscher Sprache noch einmal geschrieben werden würde. Es beginnt - und darauf muss man sich natürlich einlassen - mit reinem, hymnischem Wohlgefühl. Man könnte die Geschichte von Percy einfach immer, immer weiter lesen. Wohl wissend, dass sie einmal enden muss und - naiv ausgedrückt - nicht gut ausgehen kann. Percy ist Pfleger in einem psychiatrischen Krankenhaus und hin und wieder hält er Predigten. Er kennt keine Furcht und keine Ungeduld, das Unbeweisbare zieht ihn an: Einer, der sich unabhängig wähnte, wäre ihm fürchterlich: "Einer, der abhängig ist, kann einem leidtun. Ich mir aber nicht. Ich bin nicht abhängig von dem und jenem, sondern absolut. Ich bin absolut abhängig. Absolut unselbständig. Ich bin ein Echo und weiß nicht von was. Noch nicht. Ich habe im Lauf meines Lebens immer mehr Gleichartigkeiten mit anderen erfahren. Und je mehr ich davon erfuhr, desto mehr hoffte ich, auf Einzigartigkeit verzichten zu können. Als ich sah, wie ähnlich ich anderen war, fühlte ich meine Mängel, wenn nicht entschuldigt, so doch aufgehoben in einer allgemeineren Mangelhaftigkeit. Ich habe mich nie mit mir eins fühlen können. Jeder konnte mich aus mir vertreiben. Aber meine Mutter hat das nicht zugelassen. Sie hat mich in mir befestigt. Du bist ein Engel ohne Flügel, hat sie gesagt. Mehr als einmal. Und so, dass ich´s glauben konnte. Und das auch noch. Was ich euch sage, ist gering. Nur dass ich es sage, zählt. Vielleicht."

Religion und Literatur - in meinen Augen ist es gut, dass die eine wieder Heimat bei der anderen findet.

Service

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Buch, Meir Shalev, Aller Anfang, Diogenes
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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 111001 Gedanken für den Tag / Konrad Holzer
Länge: 03:49 min

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