Gedanken für den Tag

von Magdalena Miedl. "Faszination Film" - Irrsinn und Glück

Anlässlich des Filmfestivals "Viennale" spricht die Journalistin Magdalena Miedl in den "Gedanken für den Tag" über die Faszination, die von den bewegten Bildern ausgeht, vom "Camera Obscura" Kino.

Sie beschreibt dabei aus eigenem Erleben den Irrsinn und das Glück, das ein Filmfestival für Leib und Seele bedeuten kann, wenn sich das eigene Leben in den Bildern auf der großen Leinwand widerspiegelt oder ein Film dazu einlädt, sich mit dem ganz Anderen zu konfrontieren.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Ich muss es gestehen: Als ich Teenager war, hab ich für Keanu Reeves geschwärmt. Ich fand seinen melancholischen Blick hinreißend. Die Schweigsamkeit, die viele seiner Rollen charakterisiert, war so geheimnisvoll. Ich hab ihn zwischendurch gehasst, als er in My Private Idaho so gemein war zu River Phoenix. Und in Speed fand ich spitze, wie cool, charmant und unglaublich männlich er trotz Lebensgefahr mit Sandra Bullock flirtete. Zwischen Rolle und Schauspieler habe ich kaum getrennt. Und dann, viele Jahre später als Journalistin, hab ich ihn einmal bei einem Interview erlebt. Ich war maßlos enttäuscht.

Seit ich durch meinen Beruf mit berühmten Schauspielern zusammentreffe, sind etliche Illusionen verloren gegangen. Vor drei Jahren traf ich Jessica Chastain, die derzeit in einer Vielzahl von Filmen im Kino zu sehen ist, und die damals als Filmschauspielerin noch völlig unbekannt war. Ich fragte sie, warum sie mir ihr Alter nicht verrät. Und sie antwortete mir: "Wegen der Zuschauer. Es ist einfacher für sie, in mir genau die Rolle zu sehen, die ich gerade spiele, wenn sie möglichst wenig über mich wissen." Das klang für mich ein wenig prätentiös, aber mittlerweile weiß ich, dass das stimmt. Je weniger ich über einen Schauspieler weiß, desto weniger ist er mit Geschichten belastet, die ich in seine Rolle hineininterpretiere.

Es ist faszinierend, wenn ich jemandem begegne, der auf der Leinwand ganz anders wirkt als im direkten Gespräch. Helen Mirren wirkte für mich im Film The Queen unnahbar und streng. Als sie mir gegenübersaß, fand ich die kleine Tätowierung an ihrer linken Hand und die Sicherheitsnadel, die sie um den Hals trug, so frech wie bei einem Punkmädchen. Trotzdem ist es seltsam, wenn ich von meiner Arbeit erzähle, und eine Freundin plötzlich Atemnot simuliert, weil sie genau diesen Schauspieler, den ich neulich in Venedig interviewt habe, seit Jahren innig verehrt. Wie der denn im echten Leben sei? Ich habe keine Ahnung. Jack Nicholson hat einmal gesagt: "Ich will nicht, dass die Leute wissen, wie ich wirklich bin. Das ist nicht gut für einen Schauspieler." Vielleicht nimmt so eine Einstellung den Klatschreportern ihre Arbeit weg. Aber sie ermöglicht mir, für zwei Stunden die Wirklichkeit zu vergessen und mich ganz der eigenen Realität des Films und der Schauspieler hinzugeben.

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Titel: GFT 111019 Gedanken für den Tag / Magdalena Miedl
Länge: 03:49 min

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