Gedanken für den Tag

9. Dezember 2011, 06:56

Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein Dorf. Um Gott auf der Erde zu empfangen, müssen die Menschen zusammenarbeiten. Wenn viele den Himmel hochhalten, wird keiner müde, heißt es in Sprichwörtern. Hedwig Pirker-Partaj ist Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Leonding und Autorin des Kalenders "Schatzsuche", der (Bibel-)Texte für jeden Tag hinterfragt. In den "Gedanken für den Tag" in der zweiten Adventwoche erzählt sie ungewöhnliche Familien- und Menschheitsgeschichten - von der Zeit Jesu bis heute.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Maria und alleinerziehende Frauen

Ich habe wie viele andere so meine Schwierigkeiten mit der "Jungfrau Maria". Die Erzählung von der Jungfrauengeburt und dass Maria vom heiligen Geist geschwängert worden sei habe ich immer schon sehr seltsam gefunden. Doch der Topos von der "besonderen Geburt" ist ja keine Erfindung der Bibel. Im antiken Griechenland galten bedeutende Männer oft als von Göttern gezeugte und darum mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete Gottmenschen. Auch von anderen wichtigen Persönlichkeiten wurde erzählt, sie seien von einer Jungfrau geboren, etwa Julius Caesar. Bei dieser Idee der Jungfrauengeburt kommt wohl auch eine Körper-  und Sexualitätsfeindlichkeit zum Ausdruck, die meines Erachtens nur schlecht in die Bibel passt. Lange hätte ich diese Zeilen gerne gestrichen. Aber dann habe ich diese Geschichte einmal für mich ins ganz Alltägliche herunter gebrochen: Einer Frau begegnet ein Engel - sie wird schwanger und dann lässt er sie stehen. "Und er schied von ihr" - wird in der Bibel ganz lapidar berichtet. Und plötzlich ist es eine Geschichte, die mir bekannt vorkommt, die ich in unterschiedlichem Gewand oft gehört und miterlebt habe: Dass Frauen mit Kindern alleine sind. Und - so betrachtet - steht für mich Maria dann für alle Frauen (oder auch Männer), die enttäuscht, ohne Partner, aber mit Kind dastehen. Und auch für Frauen, die ohne ihre Einwilligung geschwängert werden. Für Menschen, die in brüchigen Beziehungen leben, voll von Unsicherheiten und Sorgen. Für Menschen, deren Leben nicht nach Plan verläuft. Für Menschen, die von Gott verlassen scheinen. Aber gerade dort, so berichtet es die Bibel, wächst Gottes Sohn heran - gerade durch solche Menschen wird Gott geboren und aufgezogen. So kann ich auch mit der Legende von einer Jungfrauengeburt etwas anfangen. So wird sie für mich eine tröstliche Geschichte.

Service

Buch, Hedwig Pirker-Partaj, Schatzsuche. Kalender für das ganze Jahr von Dezember bis November, Verlag Ennsthaler

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