Gedanken für den Tag

Von Walter Methlagl. "Die Überwindung der Ich-Einsamkeit" - Gedanken zum 130. Geburtstag des Philosophen Ferdinand Ebner. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Das "Ich" jedes Menschen bilde auf dieser Welt keine absolute selbständige Instanz des Daseins, ist der Grundgedanke, den der österreichische Philosoph und Volkschullehrer Ferdinand Ebner in seinem 1921 erschienenen Hauptwerk "Das Wort und die geistigen Realitäten" vertritt. Vielmehr verdanke sich dieses "Ich" von Anfang an dem Anspruch eines leben-spendenden, liebenden "Du".

Leider gerate dieses "Dasein-im-Verhältnis" in Zeiten der sich ausbreitenden psychischen Selbstverspiegelung des Ich, vieler gecoachter Ichs, immer wieder und zunehmend außer Sicht, meint der Philosoph und Germanist Walter Methlagl, der sich intensiv mit der Philosophie Ebners beschäftigt hat. Er wirft in den "Gedanken für den Tag" die Frage auf: Worin sollte sich dieser auch christlich-religiös zu verstehende Anspruch unmittelbarer offenbaren als im mitmenschlichen Entgegenkommen, in dem, was uns aus den uns begegnenden einzelnen Menschen anschaut und anspricht? Im sensiblen Hören und Schauen darauf und im aktiven Reagieren ereigne sich die Befreiung aus der individuellen und aus der kollektiven Ich-Einsamkeit unserer Tage.

Trotz seiner umfassenden Lektüre literarischer und vor allem philosophischer Werke war Ferdinand Ebner  kein "Philosoph" im professionellen Sinn. Zur Zeit der Niederschrift seines Hauptwerks, der "Pneumatologischen Fragmente", stand er an vorderster Front einer in Österreich sich entwickelnden "kritischen Moderne". Damit kam Ebner mit seiner Denkweise in die Nähe von Literaten wie Karl Kraus oder Georg Trakl, von Architekten wie Adolf Loos, von Musikern wie dem Zwölfton-Komponisten Josef Matthias Hauer.

Alles Ornamentale, allzu Laute und Schrille sollte deren Meinung nach aus sprachlichen, bildkünstlerischen, architektonischen oder musikalischen Gestaltungen ausgeschieden werden. Ebner ging da noch weiter: Seine Denkbewegungen führen die "Lebensform" des damaligen - und wohl auch des heutigen - Zeitalters als ein Konstrukt von zumeist verdrängten Gegensätzen und Widersprüchen vor Augen. Ferdinand Ebner war ein Meister der präzisen Herausarbeitung von "conflicting aspects" in der Gesellschaft.

Zum Beispiel sprengte er das Traum-Funktionsmodell, das Sigmund Freud für die individuelle Psychoanalyse entwickelt hatte, auf und gestaltete es um zu einem kultur- und gesellschaftskritischen Modell, zu dem von ihm so genannten "Traum vom Geist", einer Art Verdunkelung. Und Ebner legt dabei den Finger auf Wunden, die wir in meinen Augen auch in unserer heutigen Gesellschaft finden: Dieser "Traum", dem wir uns hingeben, umfasst nach Ebner nämlich viele Bereiche des Geistigen: zum Beispiel eine Philosophie, die sich in abstraktem Idealismus erschöpft, eine zur Ideologie verkommende Naturwissenschaft, eine sich selbst missverstehende Religiosität, ja überhaupt Kultur, sofern sie sich verabsolutiert. Alle diese "Träume" zeigen nach Ebner Symptome eines "icheinsamen" Verhaltens. Und erst in der Begegnung mit dem Du - dem Du eines anderen Menschen oder auch dem Du Gottes, kann dieses Verhalten überwunden werden, erwachen wir aus dem "Traum vom Geist".

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Titel: GFT 120131 Gedanken für den Tag / Walter Methlagl
Länge: 03:49 min

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