Gedanken für den Tag

Von Andrea Winkler. "Vom Leben zwischen Menschen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Wie sind Menschen miteinander verbunden, und wie äußert sich ihr Wunsch nach Nähe oder Ferne? Rund um den "Valentinstag" stellt sich die junge österreichische Schriftstellerin Andrea Winkler die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von zwischenmenschlichen Beziehungen und ihren Niederschlag in der Literatur.

Andrea Winkler wurde 1972 geboren. Sie lebt als Schriftstellerin in Wien.

Wenn man zum Beispiel einen anderen gegenwärtig nur sich selbst überlassen kann, und sei es, um ihm in der Zukunft wieder zu begegnen, anders? Eine solche Frage stellt eine kurze Erzählung von Robert Walser. In ihr lässt einer, der nicht näher bezeichnet wird, seine Vergangenheit, das, was er an einem bestimmten Ort erlebt hat, Revue passieren. Es ist einer, der von sich selbst sagt, dass "verblüffend viel Glück im Leben einzuheimsen, nie sein größtes Sehnen war". Seine Gedanken gehen dahin und dorthin. Sie befragen die eigenen Bemühungen um Erfolg ebenso wie den Zuspruch oder die Ablehnung der Mitmenschen. Zwar fällt in der Art und Weise, wie dieses Ich sich erinnert, auch im Ton seiner Gedanken, eine gewisse Distanzierung von seinen Erlebnissen auf; es gelingt ihm aber trotzdem, auch Kummer, Missverstehen und Misserfolg Wert zuzusprechen. Freilich nicht ganz ungebrochen: "Je aufrichtiger ich mich bemühte, auf festem Boden zu stehen, umso deutlicher sah ich mich schwanken", heißt es. Und - als läge in dieser Erkenntnis eine bestimmte Aufgabe, heißt es ein paar Zeilen weiter: "Langsam ging ich heim." Wo "Zuhause" wirklich liegt, erfahren wir nicht genau in diesem Text, nur dass diese Entscheidung es ringsum zuversichtlicher, fröhlicher werden lässt - eine Fröhlichkeit, die allerdings noch einmal unterbrochen wird, denn plötzlich taucht aus dem Dunkel "eine graue, große", ja "riesenhafte Gestalt" auf. Der Heimgehende aber weicht ihr gar nicht aus, sondern fragt geradeheraus: "Was stehst du hier?" - "Ich stehe hier fest! Kümmert's dich?", lautet die Antwort. Der Heimgehende folgt dem mehr oder weniger direkten Appell dieser Frage und stört den hier Feststehenden nicht länger. Begleitet man ihn aber noch ein Stück weiter und über den Text hinaus, ahnt man, dass die "riesenhafte Gestalt" irgendwann noch einmal aus dem Dunkel treten wird. Und diesmal würde sie womöglich kleiner sein.

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Titel: GFT 120214 Gedanken für den Tag / Andrea Winkler
Länge: 03:49 min

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