Gedanken für den Tag

Von Superintendentin Luise Müller. "Von Narren und Weisen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

"Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in eigener Person spricht. Gib ihm eine Maske, und er sagt die Wahrheit", lautet eine Weisheit des englischen Schriftstellers Oscar Wilde einmal gemeint. Masken und Rollen, Narren und Weise, Rio de Janeiro und Venedig, oder einfach einmal aus der Alltagshaut fahren. Nicht nur der Fasching hat viele Gesichter. Die evangelisch-lutherische Superintendentin Luise Müller lüftet so manche Maske.

Ich war schon als Kind alles: Clown, Holländerin, Cowgirl, Rotkäppchen. Mit Begeisterung habe ich den Fasching und seine Kostüme genossen, eigentlich, seit ich denken kann. Von meinen Eltern und ihren Freunden weiß ich, dass sie im Fasching auch gerne gefeiert haben, dass die Sitten etwas lockerer waren als sonst im arbeitsintensiven Alltag, dass man das Ausgehen und Tanzen genoss, oder großartige Themenfeste inszenierte. Es gibt dieses herrliche Foto eines Faschingsfestes, bei dem meine Mutter die unschuldige Braut bei einer Hochzeitsgesellschaft mimte und mein Vater angestrengt ernsthaft mit Zylinder den Brautvater gab. Und auch von meinem Großvater gab es Erzählungen, die seinen Spaß am Fasching verdeutlichten.
Als Teil dieser Familie war es klar, dass ich als Jugendliche an den letzten Faschingstagen kaum geschlafen habe. Bei Kostümbällen hatte ich mehrere Kostüme dabei, die ich im Laufe des Abends und der Nacht wechselte. Meine Freunde und ich waren oft die Letzten, die den Veranstaltungssaal meiner fränkischen Heimatstadt verließen, nur um mit dem Wirtssohn im nahegelegenen Gasthaus einzufallen, in der Früh um ½ 5, um uns ein Frühstück zuzubereiten und den Abend ausklingen zu lassen. In der Schule war man damals großzügig. Faschingsdienstag gab es sowieso ein Fest in der Turnhalle, aber sowohl Rosenmontag als auch Faschingssamstag war lediglich entspannte Anwesenheit gefordert, mehr nicht.
Es war eine verkehrte Welt, auf die ich mich einließ - zusammen mit meinen Freunden, ja sehr vielen Menschen in meiner Umgebung. Die Alltagsregeln galten nicht, die Autoritäten: Lehrer und Eltern hatten nicht viel zu sagen, Verbote waren scheinbar außer Kraft, der Alkohol floss, man kam sich näher, auch wenn es im Rückblick harmlos war, so war es doch exzessiver als sonst. Das Leben war leicht und ungezwungen und ich habe es geliebt.
Im Rückblick sehe ich meine jugendlichen Faschingseskapaden, aber auch die Feste meiner Eltern als das Betreten eines Freiraumes, in dem neue Möglichkeiten entdeckt und fantasievolle Rollen eingeübt wurden. Spielräume der Narrenfreiheit halt. Und auch wenn ich inzwischen ein bisschen aus dem Fasching herausgewachsen bin, liebe ich noch heute die Orte, an denen ich meine Alltagshaut einfach mal ablegen und längst vergessene Seiten an mir zum Leben erwecken kann.

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Titel: GFT 120220 Gedanken für den Tag / Luise Müller
Länge: 03:49 min

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