Gedanken für den Tag

31. März 2012, 06:56

Die bekannte Schaupielerin Sunnyi Melles steht derzeit gerade als Ariel in Woody Allens "Mittsommernachts-Sex-Komödie" auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Rund um den Welttheatertag, der jedes Jahr am 27. März begangen wird, hat sie für die "Gedanken für den Tag" Texte ausgewählt über das Leben mit, auf und abseits der Bühne.

Franz Kafka, Notizheft, Ende 1920:
Das ist ein Leben zwischen Kulissen. Es ist hell, das ist ein Morgen im Freien. Dann wird es gleich dunkel, es ist schon Abend. Das ist kein komplizierter Betrug, aber man muss sich fügen, solange man auf den Brettern steht. Nur ausbrechen darf man, wenn man die Kraft hat, gegen den Hintergrund zu die Leinwand durchzuschneiden und zwischen den Fetzen des gemalten Himmels durch über einiges Gerümpel hinweg in die wirkliche, enge, dunkle, feuchte Gasse sich flüchten, die zwar noch immer wegen der Nähe des Theaters Theatergasse heißt, aber wahr ist. Und alle Tiefen der Wahrheit hat.

Karl Kraus, Schriften, Aphorismen:
Man muss jedes Mal so schreiben, als ob man zum ersten und zum letzten Mal schriebe. Soviel sagen, als ob's ein Abschied wird und so gut, als bestände man ein Debut. Eine neue Erkenntnis muss so gesagt sein, dass man glaubt, die Spatzen auf dem Dach hätten nur durch einen Zufall versäumt, sie zu pfeifen.
Das ist es, was die Welt rebellisch macht. Überall ist Firma, aber dahinter vielleicht doch, unseren Blicken unsichtbar, ein Firmament. Überall ist Ware, aber dahinter, vielleicht doch noch unbehelligt das Wunder.

Service

Buch, Franz Kafka, "Gesamtwerk - Neuausgabe: Tagebücher Bd. 3 1914 - 1923", Fischer Taschenbuch
Buch, Karl Kraus, "Schriften: Aphorismen", Suhrkamp Verlag

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