Radiokolleg - Körperkontakt

Warum Berührung wichtig ist (2). Gestaltung: Natasa Konopitzky

"Noch nie haben wir uns so wenig angefasst wie heute", sagt Charles Spence vom Institut für experimentelle Psychologie an der Universität Oxford. Berührungsarmut sei ein Leiden der modernen Gesellschaft, diagnostiziert er, und ist überzeugt, dass viele Menschen unter "touch hunger" leiden. Besonders alte Menschen und jene, die nicht in einer Partnerschaft leben, können davon betroffen sein.

Körperkontakt ist die ursprünglichste Form der Kommunikation. Wenn wir berührt werden, schüttet der Körper Oxytocin aus, ein Hormon, das Angst und Stress reduziert. Säuglinge können ohne Körperkontakt nicht überleben. Berührt zu werden, kann Heilungsprozesse unterstützen. Bei Psychotherapien, in Altenheimen und auf onkologischen Stationen geht man deshalb dazu über, die Patienten neben der herkömmlichen Behandlung zu streicheln oder ihnen die Hände aufzulegen.

Wenn zwischenmenschliche Berührungen nicht professionell legitimiert sind, können sie schnell Irritationen hervorrufen. Wer, wen, wie und wann berühren darf, ist gesellschaftlich streng reglementiert. Denn Berührungen stehen unter dem Generalverdacht des Sexuellen, schreibt der deutsche Soziologe Matthias Riedel. Sie werden durch die stärkere Verknüpfung von Sexualität mit Macht und Gewalt in der öffentlichen Debatte als etwas potenziell Übergriffiges erlebt.

Service

Matthias Riedel: Alltagsberührungen in Paarbeziehungen. Empirische Bestandsaufnahme eines sozialwissenschaftlich vernachlässigten Kommunikationsmediums, 2008, VS Verlag für Sozialwissenschaften

Ashley Montagu: Körperkontakt. Die Bedeutung der Haut für die Entwicklung des Menschen, 2004, Klett-Cotta

Didier Anzieu: Das Haut-Ich, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1991

Michael Argyle: Körpersprache und Kommunikation. Das Handbuch zur nonverbalen Kommunikation. Junfermann Verlag, Paderborn, 2005

Tilmann Moser: Berührung auf der Couch. Formen der analytischen Körperpsychotherapie. suhrkamp taschenbuch, 2001

Peter Geißler, Günter Heisterkamp: Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein Lehrbuch. Springer Wien New York, 2007

Monika Specht-Tomann, Doris Tropper: Hilfreiche Gespräche und heilsame Berührungen im Pflegealltag, Springer Medizin Verlag, 2007

Basale Stimulation in der Pflege: Die Grundlagen
Christel Bienstein, Andreas Fröhlich
Huber, Bern; 2010

Norbert Elias: "Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes" suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1998

Norbert Elias: "Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1998

Marina Marcovich, Theresia de Jong: Frühgeborene - zu klein zum Leben? Geborgenheit und Liebe von Anfang an, Kösel-Verlag München, 2008

Die Sprache des Raums
Edward T. Hall
Cornelsen Verlag, 1994 (wird nicht mehr verlegt, nur mehr gebraucht erhältlich)

Matthias Riedel, Soziologe, Fachbereich Soziale Arbeit an der Berner Fachhochschule und an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau

Interviewpartner/innen
Helmuth Kuzmics, Soziologe, Universität Graz

Jakob Pastötter, Sexualforscher, Professor an der "American Academy of Clinical Sexologists" und Präsident der deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung

Heidi Keller, Entwicklungspsychologin, Leiterin der Abteilung Entwicklung und Kultur an der Universität Osnabrück

Sendereihe