Gedanken für den Tag

von Alexia Weiss. " Wenn Familie Grünwald das Fest von der Freiheit feiert - Gedanken rund um das jüdische Pessachfest". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Familie Grünwald erlebt das jüdische Pessachfest auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Die Schriftstellerin Alexia Weiss erzählt an fünf Tagen von den Gedanken, den Gefühlen, den Eindrücken zum Pessachfest aus der Sicht von fünf Familienmitgliedern.

Robert Grünwald
Robert Grünwald freute sich. Der Tisch war schon festlich gedeckt, die Matzot, die ungesäuerten Brotscheiben, lagen in einer silbernen Schale unter einem bestickten Deckchen und in der Mitte prangte die Sederplatte mit den symbolischen Pessach-Speisen, die genau so arrangiert waren, wie es die vorgeschriebene Ordnung, also der Seder vorsah. Nur das gekochte Ei fehlte noch. "Elisheva", rief er in die Küche. "Das Ei fehlt, das Ei!". Die kleine Hannah betrat das Esszimmer. "Ima hat gesagt, ich soll das bringen." Sie stellte eine Glasschüssel mit gekochten Eiern auf den Tisch. Vorsichtig setzte Robert Grünwald eines von ihnen in die dafür vorgesehene Vertiefung der Sederplatte.

Noch einmal ließ er seinen Blick über den Tisch schweifen. Die Kidduschbecher waren zum Segen aufgestellt und auf jedem Platz lag eine Haggada, jenes Buch, in dem die Geschichte des Auszugs der Juden aus Ägypten erzählt wird. Für Elias, den Allerkleinsten, eine Stoff- Haggada mit großen, bunten Bildern. Ob er es schon schaffen würde, das "Ma nischtana" zu singen? Immer der Jüngste am Tisch fragt dabei, was diese Nacht von anderen Nächten unterscheidet. Elisheva hatte in den vergangenen Wochen mit ihm geübt. Aber wenn dann so viele Leute um den Tisch saßen... Sonst würde eben wieder Hannah singen, sie war ja schon sieben. Robert Grünwald bewunderte seine Tochter, wenn diese hebräisch sprach oder sang.

In seiner eigenen Kindheit war wenig Platz für Religion und Rituale gewesen. Man war jüdisch, aber assimiliert. Die Großeltern waren nach der Schoa aus dem Exil zurückgekehrt und hatten mit Religion nichts am Hut. Die Eltern konnten so wenig weitergeben und schickten ihn auch nicht in die jüdische Schule. Ein bisschen lernte er im Religionsunterricht. Viel mehr las er sich in Büchern an. Hebräisch bemühte er sich zu lernen und konnte es immer noch nicht.

Es läutete an der Tür. "Oma und Opa sind da!", rief Hannah. Robert Grünwald eilte zur Tür. Er wusste, dass seine Eltern das alles hier übertrieben fanden. Einen Seder hatten sie nun wirklich nie gemacht. Sein Vater zog eine Kippa aus seiner Jackentasche. Robert Grünwald lächelte ihn an. Es wurde, es wurde.

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Titel: GFT 120410 Gedanken für den Tag / Alexia Weiss
Länge: 03:49 min

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