Gedanken für den Tag

12. April 2012, 06:56

Sie alle erleben das jüdische Pessachfest auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Die Schriftstellerin Alexia Weiss erzählt an fünf Tagen von den Gedanken, den Gefühlen, den Eindrücken zum Pessachfest aus der Sicht von fünf Familienmitgliedern.

Hannah Grünwald

Hannah rannte hin und her, zwischen den Großeltern, die eben gekommen waren, und David, ihrem älteren Bruder, der immer noch vor dem Computer saß, und dann holte sie noch rasch den silberfarbenen Haarreifen, den sie gestern mit Mami gekauft hatte und der so gut zu ihrem neuen türkisen Kleid passte. "David, wir fangen gleich an", rief sie, "jetzt sind auch schon Tante Sophie und Onkel Martin da". Onkel Martin, das war Papas Bruder.

David kramte in einer Lade und suchte nach einer Kippa. Doch Hannah sah sie am Fensterbrett liegen. Rasch lief sie hin und drückte sie David in die Hand. "Komm schon", sagte sie und zog ihn an der Hand.

Endlich saßen alle rund um den Tisch. Hannah freute sich schon so aufs Vorlesen aus der Haggadah, der Geschichte des Auszugs der Juden aus Ägypten. Sie ging heuer in die erste Klasse. Und konnte lesen. Auf Hebräisch und auf Deutsch! In den letzten Wochen hatte sie viel mit Mama geübt. Puuhh. Wenn es nur schon endlich losgehen würde.

Denn ganz am Ende, da ging es ja auch noch darum, den Affikoman zu finden. Bis jetzt hatte ihn immer David als erster entdeckt. Aber heute würde es ihr gelingen, das versteckte Stück Matze-Brot zu finden. Und dann würde sie sich etwas ganz, ganz Tolles wünschen. Nämlich, dass sie nach Pessach alle endlich wieder einmal gemeinsam in den Zoo gehen würden. Da gab es nämlich nun ein Elefantenbaby. Das hatte sie in der Zeitung gelesen.

Hannah ließ die Füße baumeln und als ihr linker Schuh gegen den Tisch stieß, machte das ziemlich viel Lärm. "Hannah!", rief Papa. Schnell schlang sie ihre Beine um die Sesselbeine. Damit sie ihr ja nicht wieder solche Geräusche machten. Bei so vielen Leuten rund um den Tisch musste man aber auch wirklich lange warten, bis man wieder mit dem Lesen an der Reihe war. Einen Absatz hatte sie schon vorgetragen. Fehlerfrei! Mama hatte sie angelacht und die Augen zusammengezwickt. Das tat sie immer, wenn sie zufrieden war mit Hannah.

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