Radiokolleg - Metaphysik des Leidens

Eine Kulturgeschichte des Schmerzes (3). Gestaltung: Gudrun Braunsperger

Der Aufstieg der Medizin zur Leitwissenschaft bedeutete im 19. Jahrhundert eine Zäsur für den Umgang mit Schmerzen. Bis dahin wurden sie dem christlichen Weltbild gemäß duldsam hingenommen. Erst die Erfindung der Schmerzmittel und in der Folge deren Verbreitung durch die Pharmaindustrie führten zu einer neue Haltung.

Der Konsens darüber, dass physische Schmerzen kein notwendiges Übel sein müssen, ist sehr jung. Noch während die moderne Naturwissenschaft ihre Gegenmittel entwickelte, entbrannte im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Diskurs über die Frage nach dem Wert und der Notwendigkeit von physischem Leiden. Von Friedrich Nietzsche bis Ivan Illich gibt es auch Verteidiger der Schmerzen. In indigenen Kulturen werden Initiationsriten häufig in öffentlichen Ritualen vollzogen, in denen Schmerz eine wichtige Rolle spielt - als notwendiges Durchgangsstadium im Aufbruch zu etwas Neuem.

Auf der einen Seite die Reflexion über den Schmerz als Geburtshelfer zur Individuation, auf der anderen Seite eine viele Jahrhunderte dauernde, schwer kontrollierbare Realität physischen Leidens, für dessen Bewältigung kulturelle Strategien gefunden werden mussten.

Service

Literaturliste:

David le Breton, Schmerz. Eine Kulturgeschichte. Aus dem Französischen von Maria Muhle, Timo Obergöker und Sabine Schulz. Zürich/Berlin: Diaphanes 2003

Elisa Primavera-Lévy, Die Bewahrer der Schmerzen. Figurationen körperlichen Leids in der deutschen Literatur und Kultur 1870-1945, Berlin: Kadmos 2012

Hans-Georg Gadamer, Schmerz. Einschätzungen aus medizinischer, philosophischer und therapeutischer Sicht. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2003.

Ivan Illich, Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens. Aus dem Englischen von Thomas Lindquist und Johannes Schwab München: C.H. Beck, 1. Aufl. 1995.

Isabelle Azoulay, Schmerz. Die Entzauberung eines Mythos. Berlin: Aufbau-Verlag, 2000

David B. Morris, Geschichte des Schmerzes. Aus dem Amerikanischen von Ursula Gräfe. 1. Aufl Frankfurt/M. und Leipzig: Insel Verlag, 1994.

Elaine Scarry, Der Körper im Schmerz. Die Chiffren der Verletzlichkeit und die Erfindung in der Kultur., 1. Aufl. Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag, 1992

Roland Borgards. Poetik des Schmerzes: Physiologie und Literatur von Brockes bis Büchner. München: Wilhelm Fink, 2007

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