Radiogeschichten

"Sonntage". Von Roswitha Haring. Es liest Michou Friesz. Gestaltung: Roland Knie

Die deutsche Autorin Roswitha Haring, in der tiefsten DDR geboren, seit dem politischen Umbruch 1989 in Köln lebend, beschreibt mit besonderer Vorliebe und mit zuweilen irritierender Genauigkeit die Tristesse eine Jugend im System. In einem System, das einen tatsächlich umfängt, aus dem es kein Entrinnen gibt und - das ist das Grausame und Diktatorische daran - laut System auch gar nicht zu geben braucht, weil das gegebene ohnedies das realste und realistischste aller existierenden Systeme ist, utopisches Nirgendwo als kleinbürgerlich-realsozialistisches Wohnzimmer. Weiterer Reflexionen bedarf es nicht.

In "Sonntage" ist es eine junge Frau, Gymnasiastin in der Kleinstadt, ferial als Putzfrau im Hotel beschäftigt, die die Totalität des Spießertums erlebt. Wieviele Ecken und Kanten und Politurflächen und Putzmittel und Lappen es gibt, mag für eine nur zeitweilige Putzfrau am Anfang überraschend sein - aber in Wirklichkeit steht es unumstößlich fest. Ebenso wie: Die Wirklichkeit dauert sechs Tage pro Woche. Dazwischen findet ein allgemeiner Sonntag statt. Und mit einem Mal, dank der raffinierten, nur scheinbar leidenschaftslosen Erzählkunst der Autorin, bemerkt man die emotionale Sprengkraft eines Satzes wie: "Ich muß zu Hause bleiben, weil ich da wohne."

Service

Roswitha Haring, "Sonntage" aus "Das halbe Leben", Erzählungen, Ammann-Verlag, Zürich, 2007

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