Gedanken für den Tag

Von Christine Hubka. "Der Geist weht, wo er will" - Gedanken zum Pfingstfest. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Vor dem Pfingstfest, das in christlichen Kirchen am folgenden Sonntag gefeiert wird, macht sich die evangelische Theologin und Autorin Christine Hubka Gedanken zum "Heiligen Geist". Dieser weht bekanntlich "wo er will" (Joh. 3,8). Und dort, wo er weht, gibt es überraschende Situationen. Neue, unerwartete Erfahrungen. Undenkbares ereignet sich. Auch im Alltag. Es gibt keinen Ort, wo der Geist nicht hinwehen kann, ist Christine Hubka überzeugt.

Kleine Alltagsgeschichten, die an ganz unterschiedlichen Orten spielen, erzählen von diesem Wehen des Geistes.

Tränenmeer

Ganz am Anfang, auf der ersten Seite der Bibel, wird erzählt: Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.

Man muss nicht religiös sein, um das nachzufühlen. Am Ufer des Meeres kann man das erahnen: Der Augenblick, nach dem die Sonne unter dem Horizont verschwindet, taucht die Welt in ein ganz besonderes Licht: Warmes Graublau zeichnet alle Konturen weich. Das Auge, das Gemüt entspannt sich. Die sonst so klare Grenze zwischen mir, dem Strand, den anderen wird durchlässig. Da erwacht dann das innere Wissen: Auch in der Dunkelheit wird der Geist Gottes über dem Wasser schweben. Auch in der Dunkelheit. Auch an einem anderen Meer schwebt Gottes Geist über dem Wasser. Über dem Tränenmeer, das täglich geweint wird:

Ich besuche eine Frau nach einer schweren Operation im Krankenhaus. Bis jetzt war sie "tapfer", wie die anderen sagen. Wir reden. Sie erzählt von ihren Schmerzen. Von ihrer Angst. Sie weint. Bis jetzt hat sie die Tränen hinuntergeschluckt. Sie wollte die anderen nicht belasten, sagt sie. Ihre Bettnachbarinnen sind böse auf mich: "Jetzt haben Sie sie zum Weinen gebracht", zischt eine. "Wo sie immer so stark war."

Aber Gottes Geist schwebt nicht über dem tapferen Lächeln der Schmerzgeplagten. Gottes Geist schwebt nicht über der Maske, die die Traurigkeit der Verzweifelten verbergen soll. Gottes Geist schwebt nicht über den Erwartungen, dass die anderen gefälligst ihre Tränen bei sich behalten sollen. Gottes Geist legt jede Träne, die ein Mensch weint, in Gottes Hand.

Du sammelst meine Tränen in deinen Krug. Ohne Zweifel, du zählst sie.

Ich wünsche allen Weinenden dieser Welt, dass sie dieses kleine Gebet aus dem Alten Testament nachbuchstabieren können. Und sich ihrer Tränen nicht schämen. Denn Gottes Geist schwebt täglich über dem Wasser.

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 120521 Gedanken für den Tag / Christine Hubka
Länge: 03:49 min

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