Gedanken für den Tag

Von Veronika Zoidl. "Das Surreale und ich". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Das Surreale, das Außer- oder Übernatürliche, hat die 20-jährige Schriftstellerin Veronika Zoidl von Kindheit an fasziniert: seien es Nonsensgedichte, die fantastische Welt der Alice im Wunderland, in der alles möglich scheint, oder das einspruchslose Hinnehmen des Surrealen in Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung".

Der Einbruch des Surrealen in den Alltag bricht die Welt des Vertrauten, des Logischen und des Selbstverständlichen auf und verweist auf etwas darüber Hinausgehendes, Unfassbares und Transzendentes.

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt."

Dieser Satz aus Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" ist wohl einer der bekanntesten ersten Sätze der deutschsprachigen Literatur. Die Begegnung mit dem Surrealen ist hier eine Verwandlung des recht durchschnittlichen Gregor Samsa in einen Käfer. Der erste Satz öffnet den Lesenden das Tor zu diesem Surrealen auf eine vollkommen banale, gewöhnliche Art und Weise, als wäre Gregor nicht in Gestalt eines Käfers, sondern einfach nur neben einer Tasse Kaffee aufgewacht. Der nüchterne Erzählton und das einspruchslose Hinnehmen des Surrealen durch Gregor und seine Umwelt ist für mich als Leserin verstörend und faszinierend zugleich.

Kafka holt das Surreale in den Alltag, das Außer-, oder Übernatürliche. In einigen seiner Erzählungen versetzt er mich in Gedankenspiele, in denen das Surreale in unserer Realität prinzipiell vorstellbar und eine Frage unausweichlich wird: Wie würde ich selbst denn handeln, wenn etwas passiert, das eigentlich gar nicht passieren kann? Dieses Spiel mit der Sprache und der Fantasie begleitet mich in vielen meiner Texte. Hier wird die Zeit personifiziert, und beschließt, stehen zu bleiben; dort wird ein Patent für ein Leben erworben; und dort findet man sich als Bewohnerin eines Mülluniversums. Mit einem Deut Surrealismus zwischen Stift und Papier lässt sich das enge Kleid der Sprache strapazieren. Es lässt sich herausfinden, wie geduldig Papier wirklich ist und es ist ein Vergnügen, manchmal über die eigenen Worte zu stolpern, nur um sie dann noch einmal neu überdenken zu können. Findet das Surreale Eingang in einen meiner Texte, habe ich oft das Gefühl, die Macht über meine Geschichte zu verlieren. Wie gehen meine Figuren damit um, wenn etwas passiert, das doch eigentlich gar nicht passieren kann? Das erfahre ich erst, wenn die Figur das Surreale in seiner Realität akzeptiert - und handelt.

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Titel: GFT 120626 Gedanken für den Tag / Veronika Zoidl
Länge: 03:49 min

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