Gedanken für den Tag

Von Carla Amina Baghajati. "Poetisches zum Ramadan". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Der Fastenmonat Ramadan ist über seine religiöse Bedeutung hinaus tief in den Kulturen muslimischer Gesellschaften verwurzelt. So hat der Ramadan als Motiv auch in die Literatur Eingang gefunden. In Prosawerken liefert er häufig einen Hintergrund für menschliche Konflikte, der Widersprüche zwischen ethischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit noch schärfer in Szene setzt, gerade darum aber mit manchmal unbequemen Erkenntnissen konfrontiert. In der Poesie zeigt sich eine starke mystische Ausrichtung. Werte wie soziale Gerechtigkeit, Spiritualität, Geduld, Freiheit, Versöhnung und Dialog können über den Ramadan und seine Ideale thematisiert werden.

Die in dieser Woche von Carla Amina Baghajati ausgewählten und präsentierten Texte rücken jeweils einen der genannten Werte ins Zentrum. Von Yunus Emre bis zu Assia Djebar und Orhan Parmuk spannt sich der literarische Bogen und öffnet den Blick auf muslimische Denkens- und Lebensweise zum Ramadan.

Bevor extra für den Ramadan produzierte dreißigteilige Fernsehserien für Abendunterhaltung in geselliger Runde sorgten, waren es volkstümliche Erzählungen, die nach dem Essen zum Besten gegeben wurden. Besonderer Beliebtheit erfreute sich dabei ein "orientalischer Till Eulenspiegel", Hodscha Nasreddin. Indem sich dieser seltsame Dorfimam scheinbar dumm stellt und zum Beispiel am Buchstabensinn einer Aussage klebt, hält er den Menschen den Spiegel vor. Selbst schwierige philosophische Fragen behandelt Hodscha Nasreddin mit Leichtigkeit. So gehören diese Geschichten noch heute zum Allgemeingut, sei es in der Türkei oder in arabischen Ländern, wo er als Dschucha auftritt oder Persien, wo er als Mulla Nasrudin bekannt ist.

Wie Nasrudin Wahrheit schuf
"Gesetze als solche machen die Menschen nicht besser", sagte Nasrudin zum König. "Sie müssen bestimmte Dinge in die Tat umsetzen, um auf die innere Wahrheit abgestimmt zu werden. Diese Form der Wahrheit ähnelt der äußeren Wahrheit nur von ferne."
Der König aber beschloss, die Menschen dazu zu bringen, die Wahrheit anzunehmen. Er war überzeugt, er könne sie dazu bringen, Wahrhaftigkeit in die Tat umzusetzen.
Man kam in die Stadt über eine Brücke; auf dieser ließ er einen Galgen errichten. Am nächsten Tage, als die Tore im Morgengrauen geöffnet wurden, stand der Wachhauptmann dort mit seiner Truppe bereit, um alle, die in die Stadt wollten, zu überprüfen.
Folgendes hatte man bekanntgegeben: "Jedermann wird befragt! Wenn er die Wahrheit spricht, wird ihm erlaubt, in die Stadt zu gehen. Wenn er lügt, wird er gehängt."
Nasrudin kam heran.
"Wohin gehst du?"
"Ich bin unterwegs, um gehängt zu werden", sagte Nasrudin gemächlich.
"Das glauben wir dir nicht!"
"Gut! Falls ich gelogen habe, hängt mich auf!"
"Aber wenn wir dich aufhängen, weil du gelogen hast, machen wir das, was du gesagt hast, ja zur Wahrheit."
"Recht so! Jetzt wisst ihr, was Wahrheit ist - eure Wahrheit!"

Service

Buch, Idries Shah, "Die Fabelhaften Heldentaten des Meisters Mulla Nasrudin", Verlag Herder

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Sendereihe

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Titel: GFT 120719 Gedanken für den Tag / Carla Amina Baghajati
Länge: 03:49 min

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