Zwischenruf

von Pfarrer Marco Uschmann (Wien)

Alle Welt schaut dieser Tage nach London: tausende Sportler und Sportlerinnen messen ihre Leistungen bei Olympia. Früher hieß es ja einmal: "Dabei sein ist alles", aber das ist heute nicht mehr so. Kein Mensch etwa erinnert sich an den zweiten Mann auf dem Mond. Was zählt, ist der erste Platz. Dafür nehmen die Männer und Frauen im Leistungssport eine Menge auf sich: Abgesehen vom nahezu ständigen Training werden immer wieder auch Dopingfälle bekannt. Denn die Zuschauer und Zuschauerinnen wollen immer neue Bestzeiten, und da ist so manchem eben jedes Mittel recht. "Der Zweite ist der erste Verlierer" hat der dreifache Wimbledonsieger Boris Becker einmal gesagt. Diese Erfahrungen bestätigen auch die Olympiapfarrer, die die evangelische Kirche in Deutschland und die katholischen Kirche nach Olympia mitschicken. Es gehe darum, die Sportler und Sportlerinnen wieder aufzubauen, wenn sie eben nicht ganz oben auf dem Treppchen stehen. "Wenn sie ganz oben stehen, dann klopft ihnen jeder auf die Schulter, aber bei einer Niederlage ziehen sich viele zurück", bestätigt Olympiapfarrer Thomas Weber.
Das passt gut in das Bild der Leistungsgesellschaft, bei der es nur darum geht, besser, stärker und schneller als andere zu sein. Natürlich gehört es zum Leistungssport dazu, die möglichst besten Leistungen zu erzielen. Gefährlich wird es eben dann, wenn der Mensch reduziert wird auf Bestzeiten und diesem Ziel alles unterordnet. "Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst?", fragt Psalm 8. Und weiter: "Du hast ihn wenig niedriger gemacht als dich selbst, Gott". Der Mensch ist mehr als Zeiten und Leistung um jeden Preis. Dazu gehört es auch, mit Niederlagen umzugehen, die einem ja nun weit häufiger begegnen als der erste Platz. Sei es im Sport oder im ganz normalen Leben. Mit Niederlagen umzugehen, könnte ja auch bedeuten, aus ihnen zu lernen. Das jedenfalls meint auch die evangelische Olympiateilnehmerin Viktoria Schwarz: Niederlagen können auch ein Segen sein, sagt sie in einem Gespräch mit der evangelischen Zeitschrift SAAT. Schwarz paddelt für den Sieg, das ist klar. Aber sie sagt, dass Niederlagen auch ihren Grund haben: "Man lernt daraus und steckt sich neue Ziele". Was die Sportler und Sportlerinnen wissen, das könnte ja auch Einfluss haben auf uns, die wir keinen Leistungssport betreiben. Aus Niederlagen zu lernen, bedeutet, an sich selbst zu arbeiten. Das kann, finde ich, manchmal auch unangenehm sein. Denn wer verliert schon gerne und denkt dann noch lange darüber nach? Ich jedenfalls neige dazu, der Versuchung nachzugeben und Scheitern und Niederlagen ganz schnell vergessen zu wollen. Hier zu analysieren und Fehler oder Ursachenforschung zu betreiben kann nämlich ganz schön wehtun. Aber Niederlagen gehören zum menschlichen Leben einfach dazu, wie eben auch in Psalm acht schon steht. Auch das wissen übrigens etliche unter den Sportlern und Sportlerinnen, die bei Olympia dabei sind: Für sie gibt es ein interreligiöses Seelsorgezentrum mit eigenen Gottesdiensträumen für die fünf großen Religionsgemeinschaften. So können Juden, Christen, Muslime, Buddhisten und Hinduisten sich Kraft und eben auch Trost holen. Nahezu alle Sportler arbeiten heute mit sogenannten Mentaltrainern. Die mentale Verfassung kann durchaus den Unterschied ausmachen und über Sieg und Niederlage entscheiden. Aber es ist noch etwas anderes, Seelsorge und Andacht zu suchen. Denn hier geht es nicht allein darum, mental auf den Sieg gepolt zu werden. Hier stehen im Mittelpunkt Gott und der Mensch. Für die rund 10.000 Leistungssportler, die ihr Leben ganz auf den Sieg ausrichten, stehen 200 Seelsorger und Seelsorgerinnen zur Verfügung. So gilt auch für die Religionsgemeinschaften das olympische Motto "Dabei sein ist alles." Sie werden auch die Frage bedenken, die Psalm acht stellt: "Was ist der Mensch?". Sie werden vermutlich eine andere Antwort haben als die des Sieges. Denn in einer Niederlage liegen sehr viele Chancen und so kann aus einer Niederlage auch ein Segen werden. Was Leistungssportlern hilft, das könnte auch für das Leben abseits von Bestzeiten gelten. Wenn es einem wieder einmal nicht gelingt, irgendwo der beste oder erste gewesen zu sein.
Der zweite Mann auf dem Mond übrigens war Edwin "Buzz" Aldrin - nach Neil Armstrong.

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