Zwischenruf

von Prof. Dr. Ulrich Körtner (Wien)

Ein spektakuläres Urteil aus Deutschland sorgt auch in Österreich für Diskussion. Ende Juni entschied das Landgericht Köln, die rituelle Beschneidung von Buben, wie sie im Judentum und im Islam praktiziert wird, sei eine Körperverletzung und daher strafbar. Nach dem Eingriff an einem vierjährigen muslimischen Buben war es zu Komplikationen gekommen. Zwar ging der Arzt straffrei aus, jedoch nur, weil er im Verbotsirrtum gehandelt habe, wie es im Juristendeutsch heißt. Will sagen: der Arzt konnte nicht wissen, dass seine Handlung strafbar war.

Religionsfreiheit versus Recht auf körperliche Unversehrtheit

Bereits in erster Instanz war der angeklagte Mediziner freigesprochen worden. Damals jedoch mit einer ganz anderen Begründung. Das zuständige Kölner Amtsgericht hatte nämlich die Ansicht vertreten, die Beschneidung hätte dem Kindeswohl gedient, weil der Bub nur so in seiner Religionsgemeinschaft voll akzeptiert werde und ohne das Gefühl der Diskriminierung aufwachsen könne. Auch sei das Recht der Eltern auf Religions- und Erziehungsfreiheit zu achten. Die zweite Instanz urteilte jedoch anders: Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrheit stehe über dem Recht der Eltern auf Religions- und Erziehungsfreiheit.

Das Urteil hat nicht nur unter Juden und Muslimen Empörung ausgelöst, sondern wird auch von den christlichen Kirchen kritisiert. Sollte der Richterspruch Bestand haben, würde islamisches und jüdisches Leben in Deutschland praktisch unmöglich gemacht - oder die Beschneidungspraxis in die Illegalität abgedrängt. Nun wird über gesetzliche Regelungen nachgedacht, die rituelle Beschneidungen grundsätzlich straffrei stellen sollen, sofern sie medizinisch fachgerecht und möglichst schmerzfrei durchgeführt werde. Die Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen soll dagegen in jedem Fall strafbar bleiben.

Nach Vorstößen der Landeshauptleute von Vorarlberg und Kärnten gegen religiöse Beschneidungen ist nun auch hierzulande die politische Diskussion entbrannt. Nach herrschender Rechtsmeinung ist die rituelle Beschneidung von Buben grundsätzlich straffrei. Doch ganz so eindeutig, wie Politiker, Behörden und Juristen versichern, ist die Rechtslage in Österreich derzeit offenbar nicht. Hier muss Klarheit geschaffen werden. Unerträglich sind die antisemitischen und antiislamischen Töne, die in den letzten Wochen zu hören waren. Es ist darum gut, dass sich die evangelische und die katholische Kirche mit der israelitischen und der islamischen Religionsgemeinschaft in der Beschneidungsfrage solidarisieren.

Religion im säkularen Staat

In der teilweise recht untergriffig geführten Diskussion prallen religionskritische und religionsfreundliche Argumente aufeinander. Von der Ablehnung der Beschneidung bis zur Ablehnung der Kindertaufe im Christentum ist es für manchen nur ein kleiner Schritt. Und wer gegen die Beschneidung als identitätsstiftendes Ritual in Judentum und Islam polemisiert, stellt im Grunde das Recht auf religiöse Erziehung überhaupt in Frage. Das Kölner Urteil atmet den Geist einer laizistischen Trennung von Staat und Religion, wobei übersehen wird, dass auch der säkulare Staat von weltanschaulichen und religiösen Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen und garantieren kann.

Wer derart massive Eingriffe in das elterliche Recht der religiösen Erziehung befürwortet, müsste am Ende auch die Freiheit der Eltern auf anderen Feldern der Erziehung beschneiden, zum Beispiel wenn es um die Wahl des Kindergartens oder der Schule, um die musikalische Erziehung oder den Sport geht. Im Namen der Freiheit würde der Staat seine Bürger bevormunden und der Säkularismus zur Ersatzreligion.

Den weltlichen Staat in seiner Weltlichkeit zu bejahen, ist gut evangelisch. Der säkulare und weltanschaulich neutrale Staat wird freilich gerade dadurch geschützt, dass Religionen und religiöse Erziehung nicht nur geduldet, sondern auch gefördert werden.

Sendereihe