Best of ... "Gedanken"

5. August 2012, 09:05

15. Mai 1955. Anlässlich der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags entsteht sein wohl bekanntestes Bild. Es zeigt Leopold Figl und die Außenminister der Alliierten auf dem Balkon des Wiener Belvedere. "Das Erkennen des entscheidenden Augenblicks gehört zum Alltag des Fotografen. Aber ein bisschen Glück ist immer dabei", verrät Erich Lessing, der Doyen der heimischen Bild-Reportage. Selbstverständlich handelt auch sein Lieblings-Witz von einem Fotografen. Er habe, erzählt er einem Kollegen, auf der Straße gerade einen Bettler gesehen. "Und was hast du ihm gegeben?" "1/50 Sekunde bei Blende Acht", antwortet der, in Anspielung auf die Verschlusszeit der Kamera.

Erich Lessing wurde 1923 in Wien geboren. 1938 konnte der Sohn einer bürgerlich-jüdischen Familie gerade noch nach Palästina flüchten. Nach dem Krieg kehrte er nach Österreich zurück, wurde Fotoreporter und Mitglied der berühmten Pariser Agentur "Magnum". "Die wurde", erinnert sich Lessing, "tatsächlich nach der großen Champagner-Flasche benannt. Denn davon haben wir alle gelebt damals, auch wenn wir kein Geld hatten." Das Gefühl der Sentimentalität ist diesem Mann völlig fremd, auch wenn er als einziger seiner Familie den Holocaust überlebt hat und sich vielleicht gerade deshalb beruflich mit dem Festhalten der Zeit beschäftigt. "Sicher haben wir, hat meine Generation, wenn wir Krieg und Konzentrationslager überlebt haben, die glücklichste Zeit seit vielen Tausenden Jahren erlebt. Es konnte für uns nach 1945 nur besser werden. Noch lustiger!", sagt Lessing mit dem ihm eigenen jüdischen Humor. Und fügt hinzu: "Noch mehr Aufgaben, noch mehr Kreativität."

Sein Kindheits-Hobby ist Erich Lessing zum Beruf und zur Berufung geworden. Als Verwalter eines über 60.000 Exemplare zählenden Archivs ist der 89-Jährige immer noch höchst aktiv und hat vor kurzem in Wien eine eigene Galerie eröffnet. In den "Gedanken" berichtet er aus seinem bewegten Leben, z. B. von seinen Erlebnissen während des Ungarn-Aufstandes 1956. "Zuerst fielen die Symbole der Unterdrückung. Denken sie nur an die vielen Fotos von Fahnen, aus denen man Hammer und Sichel herausgeschnitten hatte." Das Loch wurde zum Symbol der Revolution. "Meine Generation hatte noch die Illusion, wir seien Mitspieler im großen Weltgeschehen. Wir haben damals wirklich geglaubt, dass die Reportage-Fotografie etwas bewegen könnte."

Weltberühmt sind auch Lessings Politiker-Porträts wie die von Konrad Adenauer oder Charles de Gaulle. Er fotografierte auf Film-Sets und begleitete Herbert von Karajan zu Proben bei den Salzburger Festspielen. "Wenn ich einmal sterbe, dann werden auch alle unscharfen Fotos von mir veröffentlicht werden", soll der vielfotografierte, nicht uneitle Dirigent einmal gesagt haben - um sich danach umso perfekter für Erich Lessing in Pose zu bringen.

Sendereihe

• Gedanken

Gestaltung

• Doris Glaser